Niedliches (Teil 3): Das Rundliche
von Katja Gunkel
18.11.2019

Gewichtige Niedlichkeiten, in Form gebrachte Tiere

„[L]ook at this absolute unit.“[1]

Die beiden vorangegangenen Konsumrezensionen über die Quetschbarkeit (Artikel hier) und die Flauschigkeit des Niedlichen (Artikel hier) haben bereits vorgeführt, dass die protoniedliche (Tier-)Form am treffendsten mit den Attributen klein, rund, weich und flauschig beschrieben werden kann. „[C]ute objects have no edge to speak of, usually being soft, round, and deeply associated with the infantile and the feminine“[2] – als ein Schlüsselmerkmal niedlicher Gestalt/ung begleitet Rundheit nun die nachfolgende Expedition durch die unendlichen Weiten digitaler Bildkulturen. 

Im Fall der zuvor exemplarisch anhand des Mini-Zwergspitzes studierten Materialeigenschaft Flauschigkeit[3] ist die rundliche Silhouette das kunstfertige Resultat eines sorgfältig getrimmten buschig-voluminösen Haarkleides. Das nunmehr näherungsweise kugelrunde äußere Erscheinungsbild der bereits qua Züchtung manieriert-niedlichen Hunderasse wird durch diesen erneuten Formgebungsprozess noch gesteigert („cutening the cute“[4]), basiert de facto jedoch auf einer optischen Illusion. Wasser hilft angesichts jenes haarigen Blendwerks der Wahrheitsfindung, enttarnt der Kontakt mit dem feuchten Element doch gnadenlos den anatomischen Kern, d.h. die schmächtige Statur des mühevoll händisch aufgeplusterten, nunmehr im Bade abschmelzenden Pommeraners[5] und führt jene Janusköpfigkeit vor, aus der sich die latente Skepsis vor dem vorgeblich allzu Niedlichen speist (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1: Vorher-Nachher-Bildvergleich – „before and after bath.“

Obgleich Miniaturisierung und Handlichkeit nahelegen, dass die niedliche Tiergestalt idealiter leichtgewichtig, kleinformatig und zierlich ist, deutet alles darauf hin, dass jene Beobachtungen unter umgekehrten Vorzeichen ebenso Gültigkeit behalten. Kugelige Anschauungsexemplare aus der Social-Media-Menagerie sind daher diesmal nicht in Form miniaturisiert-fragiler Fellknäule von Interesse – ganz im Gegenteil. Die Aufmerksamkeit richtet sich nunmehr auf die schiere Präsenz der wohlgenährten, trägen wie schweren, mit besten Absichten liebevoll in Form gefütterten (Bio-)Masse.[6]

Die Kugel[7] gilt denn auch nicht nur Bauschigem – Stichwort: Pompon – designseitig als Idealform, eine ähnlich prominente Rolle spielt sie im semiotischen Repertoire der Beleibtheit. Dass gemeinhin ein Nexus zwischen kugelrund und übergewichtig besteht, darauf deutet bereits die synonyme Wortverwendung hin.[8] Unmittelbar anschaulich wird besagter Zusammenhang beim Blick auf jene Tierdarstellungen, die allenthalben mit #cute und #adorable verschlagwortet über Instagram-Profile wie @round.animals – „[d]aily dose of thicc & round animals“[9] – oder @round.boys – „the original round animals account“[10] – geteilt werden. 

Im virtuellen Kuriositätenkabinett der kugelförmigen Tierkörper bzw. ‚runden Lieblinge‘ reihen sich lebendige Fellknäule dabei gleichberechtigt an absichtlich ‚unvorteilhaft‘ fotografierte ein: zum Beispiel solche, die durch die Wahl einer entsprechenden Kameraperspektive füllig inszeniert wurden, sowie tatsächlich korpulente Exemplare. Die zumindest bei flüchtiger Betrachtung gegebene formale Ähnlichkeit zwischen einem flauschigen und einem fettleibigen Säugetier dient sich im wissentlich wenig überzeugenden Versuch, schiere Massigkeit als bloße (Lang-)Haarigkeit zu camouflieren augenzwinkernd der Logik der Verwechslungskomödie an – „I’m not fat, I’m fluffy!“ Das Spiel mit der ambigen, durch Behaarung umschmeichelten bzw. vorteilhaft kaschierten, Körperform verliert mit Abnahme der Haarlänge proportional an Plausibilität, so dass einer kurzhaarigen Katzenart deutlich weniger imaginärer Spielraum vergönnt ist – „I’m not fat, dammit!“ (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2: „I’m not fat, I’m fluffy“-Meme.

Chonkcilla, Unichonk oder Chonkkin – ob reale oder fiktive Tierfiguren, alle lassen sie sich sowohl sprachlich als auch optisch an die kugelrunde Idealform angleichen bzw. anfüttern.[11] Laut urbandictionary.com, dem selbsternannten, kollektiv organisierten Nachschlagewerk für Internet-Slang, hat sich chonk als orthografische Variation von chunk – übersetzt etwa so viel wie ‚großer Brocken‘ – online zur Bezeichnung korpulenter Tiere aller Art etabliert.[12] Befeuert durch die CHONK Chart,[13] eine qua Bildbearbeitung manipulierte Körperfett-Risikoskala für Haustiere, die vor allem im Sommer letzten Jahres viral kursierte, erfreuen sich insbesondere über- bzw. schwergewichtige Stubentiger memetischer Berühmtheit (vgl. Abb. 3). 

Abbildung 3: CHONK Chart via Imgur.

Graduell von einem zwanzigprozentigen, als unbedenklich indexierten Körperfettanteil auf 70 Prozent in den dunkelroten Risikobereich ansteigend, gipfeln die begleitenden Illustrationen auf der letzten Stufe in einem unförmig adipösen Tierkörper. Die Bauchdecke hängt auf Bodenhöhe, wodurch die Silhouette der grafisch dargestellten Katze in der Seitenansicht nahezu quadratisch wirkt. 

Während das veterinäre Schaubild offensichtlich für die gesundheitlichen Konsequenzen von Fettleibigkeit bei Katzen im Speziellen wie Haustieren im Allgemeinen sensibilisieren will und dazu die massiv übergewichtige tierliche Figuration als stark gefährdete Normabweichung inszeniert, die es unter allen Umständen zu vermeiden bzw. mit sofortiger Wirkung auf strikte Diät zu setzen gilt, zielt die CHONK Chart auf das genaue Gegenteil. Dank der humoristischen Umdeutung wird die ursprünglich als abnorm deklarierte Körperform glorifiziert. Je fülliger, desto besser lautet entsprechend der Überbietungslogik alsdann die Losung, besteht die Meisterschaft doch gerade im Erklimmen der letzten Stufe, eingedenk deren gigantischer Ausmaße die Beschreibung ‚chonky‘ geradewegs als unpassend verniedlichender Deminutiv erscheint.

Ein verballhornter christlich-religiöser Ausruf bleibt dann auch die einzige adäquate Reaktion auf jene leibhaftige, Ehrfurcht gebietende Epiphanie – „OH LAWD HE COMIN“! Die Pointe besteht freilich in dem Umstand, dass ein derart adipöses Geschöpf – zumal mit der geringen Körpergröße einer Hauskatze – allein aufgrund der gewichtsbedingten motorischen Einschränkungen de facto schwerlich eine auch nur irgendwie ernstzunehmende Bedrohung darzustellen vermag. 

Bei  Nutztieren gilt ein korpulentes Äußeres der fleischverarbeitenden Lebensmittelindustrie nicht erst seit Einführung genetisch optimierter Massentierhaltung als ökonomisches Prädikat. Die Freude am sowie der Stolz auf das wohlbeleibte, maximalen Ertrag in Aussicht stellende Zuchttier finden ihren bildlichen Ausdruck beispielsweise ab Mitte des 19. Jahrhundert in der Viktorianischen Genremalerei. Preisgekröntes Elite-Rindvieh – wie der aufgrund seiner schieren Massigkeit und distinguierten Abstammung in ganz Großbritannien als Krone der angelsächsischen Rinderzucht bekannte Ochse von Durham (1796-1807) – tourte nicht lediglich in spezialangefertigten Fuhrwerken landauf, landab, sondern wurde ebenfalls in stilisierenden Tierportraits verewigt: „Berühmtheit erlangte der Durham-Ochse durch die 1802 von Thomas Weaver und John Boultbee […] angefertigten Porträts, und er war so populär, dass allein im ersten Ausstellungsjahr 2.000 Exemplare seines Porträts in Auftrag gegeben wurden.“[14]

Die sogenannte „livestock portraiture“[15] zielte weniger auf ein wahrheitsgetreues Bildnis, als auf die idealisierte Darstellung der tierlichen Anatomie – getreu der Devise „je massiger, desto besser“ – „[…] [T]he most impressive animals were those that pushed natural limits or approached unattainable ideals. The most obvious limit was size.“ [16]

Jedes der lokalen Nutztiere wurde hierzu an eine bereits in der Körperform angelegte geometrische Idealform angeglichen: Großzügig proportioniert waren Rinder meist von kompakt rechteckiger, Schafe von länglich-elliptischer Statur, während bei der Abbildung von Schweinen die Kugel als anatomisches Modell fungierte (vgl. Abb. 4).[17] Um die Fleischmassen besonders eindrücklich zu inszenieren, wurde die jeweilige tierliche Berühmtheit in Form einer Ganzkörperdarstellung en profil vor einer ruralen Landschaft portraitiert.

Abbildung 4: OH LAWD HE COMIN (CHONK Chart, Detail); The Famous Lincolnhire Ox (1823); Leicester Ram (1859); Prize Pig (1872).

Aus der Perspektive jener charakteristischen Darstellungsweise scheint der annähernd rechteckige Rumpf, zumal im direkten Kontrast mit den vergleichsweisen dünnen, kurzen Beinen und dem relativ kleinen Kopf, geradezu monströse Dimensionen zu besitzen.[18] „Dem ungeübten Betrachter mögen sie wie idiosynkratische Darstellungen übergroßer, überfütterter, überausgestellter Monstren erscheinen. Für diejenigen, die damit zu tun haben, sind sie Ausdrucks eines Novums von Wohlstand, gesellschaftlichem Wandel und Vertrauen in den ‚Fortschritt‘.“[19]

Als Statussymbol wie Figuration ihrer Eigentümer bzw. Züchter erfüllten jene betont imposanten und stattlichen Portraits preisgekrönter Zuchttiere vor allem repräsentative, prestigeträchtige Funktionen.[20] Das Affizierungsvermögen dieser – bereits zum Entstehungszeitpunkt breitenwirksam als menschengemachte Sensationen vermarkteten – ob ihrer Unförmigkeit spätestens aus heutiger Sicht grotesk wirkenden livestock celebrities (bzw. cattlefluencer) griff jüngst das Museum of English Rural Life zum Zwecke des digitalen Marketings via Twitter (@TheMERL) auf. Adam Koszary, früherer Programmdirektor und Leiter des Digital Lead Management, beschreibt das seiner Meinung nach augenfällige ‚Social-Media-Potential‘ jener Nutztierdarstellungen und dessen viralen Erfolg in einem Interview folgendermaßen: „People love an absolute unit, and are in awe at the size of the lad.“ [21]

Der morphologisch vorgeführte Gigantismus erweist sich als Umkehrung jenes miniaturisierenden Effekts, der für Niedliches üblicherweise kennzeichnend ist.[22] Im Fall adipöser Tiere im Diskursumfeld von #cute auf Instagram mündet eine partielle Vergrößerung durch überproportionale Körperfülle dennoch nicht in Ekel, Abscheu oder Furcht. Accounts wie @chonky.animals,[23] @wow_absolute_units[24] oder @thic.bois[25] tragen ihre Verehrung für tierliche Körperfülle vielmehr bereits im Namen.

Für jene bildbasierten „Geschmacksverein[e]“[26] besitzen massige Kreaturen ein ausgemachtes, im Sinne von fat admiring ausschließlich positiv konnotiertes Affizierungspotential, gelten sie ihnen doch als massiv niedlich. Mit dem signifikanten Hashtagverbund #chunky #cute #adorable liefert das derart verschlagwortete Bildmaterial dementsprechend eine affirmierende Lesart der dargestellten korpulenten Leiber. Bei Niedlichem gilt Übergewicht, so ließe sich unmittelbar schlussfolgern, als liebenswert, ja gar anbetungswürdig – zumindest, wenn es sich um Tiere oder Babys handelt, die – eingedenk optimierter Quetschbarkeit[27] – gar nicht speckig (#chubby) genug sein können. 

Was nun aber passiert, wenn das Haustier zum Masttier wird, sei im Folgenden fallbeispielhaft am Instagram-Account @chonky.animals illustriert, der seine Abonnent*innen täglich mit neuen Medieninhalten – den so genannten „daily chonks“[28] – versorgt. Zum Zwecke der Klassifizierung wie Auffindbarkeit werden sämtliche Veröffentlichung von einem Hashtag-Konglomerat begleitet, das lediglich minimal, abhängig vom jeweils abgebildeten Tier – Hund, Katze, Hamster, Robbe usw. – variiert. Unverändert bleiben dabei folgende Schlüsselbegriffe, die den Bildkorpus aus Sicht der Account-Betreibenden am treffendsten charakterisieren und damit jenen Diskursrahmen aufspannen, in dem die veröffentlichten Tierportraits nicht nur verortet, sondern ebenso durch Sucheingabe aufgefunden werden sollen: #animals #chonky #cute #adorable #animal #chonker #aww #fat #unit #funny #absoluteunit. 

Eine Durchsicht des gesamten Datensatzes offenbart, dass das Prädikat chonky nicht notwendigerweise an Übergewicht gebunden ist. Rubriziert werden ebenso Tiere mit dichtem Fellwuchs wie beispielsweise ungeschorene Alpakas, langhaarige Katzenrassen (z.B. Main-Coon), Tiere mit ausgeprägten, üppigen Speckfalten – zumeist Möpse, Doggen oder haarlose Sphinx-Katzen – und Robben, die aufgrund ihres prallen, formstabilen und speckig glänzenden Leibes als #chonker par excellence gelten können. 

Dessen ungeachtet beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen bewusst auf die fotografischen Darstellungen adipöser Haustiere, liegt der Fokus mit Gewicht und Masse doch auf zwei physikalischen Größen, die nicht als prototypisch niedlich gelten. Zudem ist Korpulenz, d.h. signifikant formverändernde Gewichtszunahme, im untersuchten Phänomenbereich #chonky für den Eindruck von idealerweise kugelförmiger Rundheit maßgeblich.

Motiv der via @chonky.animals geteilten Tierportraits ist dabei nicht der Fressvorgang als solcher, vielmehr wird die Leibesfülle der wohlgenährten Protagonisten und somit der tierliche Körper selbst zum zentralen Bildgegenstand. Zumeist im ‚natürlichen‘ Habitat des häuslichen Innenraums – vorzugsweise auf komfortablen Ruhemöbeln wie Sofa, Sessel, Teppich, Fußmatte oder Schlafzimmerbett – abgelichtet, befindet sich eine signifikante Anzahl der Tiere augenscheinlich in einer Art semi-komatösem Dämmerzustand, mutmaßlich immobilisiert durch das zuvor verzehrte Mahl und die einsetzende Verdauungstätigkeit.

Während ein beleibter Mops absolut tiefenentspannt, wie dahingegossen quer ausgestreckt über Ledercouch und Sofatisch liegt, wobei sich sein Wanst schwerkraftbedingt zwischen dem Mobiliar nach unten aushängt („perfect form“), ruht ein draller Corgi bildformatfüllend auf der Seite und es scheint fraglich, ob seine Stummelbeine den massigen Körper jemals wieder aufrichten können („loaf“). Mops und Katze wiederum schlafen einträchtig, alle Viere von sich gestreckt auf einem sonnenbeschienenen Türvorleger („DOUBLE CHONK“). Im Wachzustand fotografierte Tiere befinden sich häufig in einer breitbeinigen, menschenähnlichen Sitzhaltung, welche ihre – zwischen den geöffneten, optisch nahezu verschwindenden Hinterläufen ruhende, teils bis zum Kinn reichende Plauze – prominent in Szene setzt („AWH LAWD HE SITTIN“) (vgl. Abb. 5). 

Abbildung 5: Einige wiederkehrende ‚Posituren‘ auf @chonky.animals: Perfect form,  Loaf,  DOUBLE CHONK, That posture.

In ihrer Rolle als ‚treue‘ tierliche Lebensgefährten (companion animal), emotionale Unterstützung (emotional support animal) und animalische Stellvertreter und Statussymbole, erfüllen Haustiere nicht nur affektregulierende, sondern ebenso repräsentative und somit soziale Funktionen – zumal im Kontext bildbasierter Kommunikation via Social Media. Laut Richard et al. kommt den zumeist von ihren Besitzer*innen medial inszenierten Tieren dabei die Rolle eines animal ego zu, dessen Eigenschaften und Fähigkeiten der Erweiterung des online präsentierten menschlichen Selbst dienen.[29]

Indem ihre anthropomorphe Darstellung Identifikationsmöglichkeiten bietet, ermöglichen die behäbig, selbstzufrieden und genüsslich sprichwörtlich auf der faulen Haut liegend dargestellten tierlichen Modelle ein stellvertretendes Genießen – eine kurzfristige, gleichwohl imaginäre Teilhabe am paradiesisch visionierten Zustand eines lebenslangen Dolcefarnientes fernab sozioökonomischer Zwänge, wie es Haustieren gewöhnlich nicht ohne Neid attestiert wird. Als Repräsentanten des zutiefst Menschlichen verkörpern sie folgenlosen und daher ungefährlichen zivilen Ungehorsam, die Weigerung zur Leistungserbringung wie Selbstoptimierung, und demonstrieren mithin Disziplinlosigkeit im Kleinen.

Als selbstbewusst wie -bestimmt auftretende Persönlichkeit (und somit gewissermaßen als ego animal) unter den wohlbeleibten tierlichen Gefährten kann der rotweiß-getigerte Kater Zarathustra gelten. Unter dem Instagram-Profil @fatcatart[30] sowie der gleichnamigen Homepage[31] präsentiert der konsequent im Pluralis Majestatis über sich selbst sprechende Stubentiger die Früchte seines distinguierten – ausnahmslos um sinnliche Freuden, kulinarischen Wonnen sowie die Schönen Künste kreisenden – Lebensstils.

Auch die Selbstcharakterisierung geizt nicht mit Superlativen: So ist Zarathustra nicht nur fraglos der beste und kultivierteste Kater der Welt, sondern genießt zugleich die Gunst der Götter, welche seine unzivilisiert-animalischen Begierden sublimierten, damit er seine freie Zeit zwischen den taktgebenden Mahlzeiten mit dem Sinnieren über höhere Belange zubringen kann. Seine drängendste Leidenschaft besteht jedoch darin, als Modell für die ‚großen Meister‘ zu fungieren – wüsste doch einzig ein Monet, Botticelli oder Rembrandt seinen ‚großzügigen Körper‘ und seine ‚erhabene Seele‘ als ästhetisches Surplus wertzuschätzen. [32]

Kunstfertig wird Zarathustra von seiner Besitzerin, der russischen Künstlerin Svetlana Petrova, in bewegtes wie unbewegtes Bildmaterial hineinmontiert, wobei sich Referenzen aus dem Bereich der Bildenden Kunst (#classicartmemes) sowie popkulturelle Zitate aneinanderreihen. Ob ihm als ‚Winged Cat‘, gezähmte Bestie und überdimensioniertes Haustier der Königstochter, vom Hl. Georg häppchenweise Biofleisch angereicht und die Figur des Drachentöters derart beinahe liebevoll-fürsorglich umgedeutet wird, sein massiger Körper, nunmehr zum Quadrat umgeformt, den ‚Cat Suprematismus‘ einläutet oder er anstelle von Elizabeth Taylor in Cleopatra (1963) auf einer gigantischen, von unzähligen Sklaven geschulterten Sänfte feierlich in Rom einzieht: Die Persona Zarathustra entscheidet – hieran lässt das Begleitnarrativ keinen Zweifel – souverän über ihre Bildwerdungen und ist somit zumindest nominell deutlich handlungsfähiger als die vorherigen tierlichen Brummer. Deren paralytische Passivität steigert sowohl ihren Objektstatus als auch ihre Relativität – das animal ego existiert nur als Erweiterung eines vorgängigen Subjekts – und trägt damit unmittelbar zur Erhöhung ihres Niedlichkeitsfaktors bei. Jene Ästhetisierung von Machtlosigkeit bzw. Ohnmacht, die Sianne Ngai als grundlegende Triebkraft des Niedlichen gilt, erfährt in Zarathustra ihre bullige Umkehrung – „How to welcome the fat cat: Oh lawd he comin‘!“[33]

 

Anmerkungen

[1] Koszary, Adam: look at this absolute unit, https://medium.com/ vom 10.04.2018, https://medium.com/@adamkoszary/look-at-this-absolute-unit-763207207917 [23.9.2019].

[2] Ngai, Sianne: Our Aesthetic Categories. Zany, Cute, Interesting, Cambridge/Mass. 2012, S. 814.

[3] Vgl. Gunkel, Katja: Niedliches (Teil 2): Das Flauschige. Pompon trifft Pommeraner, http://www.pop-zeitschrift.de/ vom 13.05.2019, http://www.pop-zeitschrift.de/2019/05/13/pelzige-posamente/ [27.09.2019].

[4] Legge, Elizabeth: When Awe turns to Awww… Jeff Koons’s Balloon Dog and the Cute Sublime, in: The Aesthetics and Affects of Cuteness, hrsg. von Joshua Paul Dale et al., New York [u.a.] 2017, S. 130-150, hier S. 140.

[5] Vgl. bspw. N.N.: Hydro-thera-paws! Bizarre bath time video of submerged Pomeranian is so soothing… even she falls asleep, www.dailymail.co.uk vom 29.06.2017, https://www.dailymail.co.uk/news/article-4652222/Bath-time-video-submerged-Pomeranian-soothing.html [27.09.2019].

[6] Vgl. hierzu auch Billmayer, Franz: Konsumrezension Mai. Choice as Chance – Der neue Hund im Spiegel seines Futters, 15.05.2016, http://www.pop-zeitschrift.de/2016/05/14/konsumrezension-maivon-franz-billmayer15-5-2016/ [27.9.2019].

[7] Für eine designtheoretische Betrachtung des geometrischen Körpers vgl. Richard, Birgit: Eine runde Sache: Wenn Designer sich die Kugel nehmen. Streifzüge durch die hermetische Welt einer allseitig geschlossenen Fläche mit konstanter Krümmung, in: Gestalten, Gebrauchen, Erinnern. Zur Gestalt des gewöhnlichen Gegenstandes, hrsg. von Hermann Sturm, Essen 1994, S. 102-120.

[8] Im Deutschen geläufige Synonyme für fettleibig sind folglich bspw. rundlich, kugelig oder kugelrund. Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/fettleibig [27.09.2019].

[9] www.instagram.com/round.animals (490.000 Abonnent*innen) [27.09.2019].

[10] www.instagram.com/round.boys (476.000 Abonnent*innen) [27.09.2019].

[11] Die ästhetische Kategorie cute umfasst konventionalisierte physische wie habituelle Reizkonstellationen. „Cuteness is not merely a matter of individual taste, but rather is comprised of particular features: rudimentary criteria with a certain degree of flexibility.“ Gn, Joel: A lovable metaphor. On the affect, language and design of ‚cute‘, in: East Asian Journal of Popular Culture (#2) 1 (2016), S. 49-61, hier S. 50. Unter Bezug auf Gn wird weiterhin davon ausgegangen, dass sich mithilfe der ‚Rahmenfunktion‘ cuteness potentiell alles verniedlichen, d.h. auf eine spezifische – cute – Art und Weise überformen lässt. Vgl. Gn, Joel: Designing Affection. On the Curious Case of Machine Cuteness, in: The Aesthetics and Affects of Cuteness, hrsg. von Joshua Paul Dale et al., New York [u.a.] 2017, S. 175-193, hier S. 186.

[12] Vgl. die Top-Definition zum Substantiv chonk von Textbookvirgo, www.urbandictionary.com vom 27.09.2018, https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Chonk [27.09.2019].

[13] https://knowyourmeme.com/memes/chonk-oh-lawd-he-comin [27.09.2019].

[14] Vgl. Grasseni, Christina: Tierdarstellung, agrarischer Fortschritt und die Ökologie des Blicks für die agrarische Landschaft, in: Nützlich, süß und museal. Das fotografierte Tier. Essays, hrsg. von Ute Eskildsen und Hans-Jürgen Lechtreck, Essen 2005, S. 96-102, hier S. 99f. Vgl. hierzu ebenfalls Rotvo, Harriet: The Animal Estate. The English and Other Creatures in the Victorian Age, Cambridge/Mass. [u.a.] 1987, S. 46.

[15] Rotvo: The Animal Estate, S. 58.

[16] Ebd., S. 56.

[17] Vgl. Ewbank, Anne: In 19th-Century Britain, The Hottest Status Symbol Was a Painting of Your Cow. The livestock looked surprisingly geometric, www.atlasobscura.com vom 13.12.2017, https://www.atlasobscura.com/articles/britain-cows-pig-sheep-paintings-livestock sowie Hilton, Alison: Consuming the fat cows, The Museum of English Rural Life vom 25.10.2015, https://merl.reading.ac.uk/news-and-views/2015/10/consuming-the-fat-cows/ [27.09.2019].

[18] Vgl. bspw. Rotvo: The Animal Estate, S. 59.

[19] Grasseni: Tierdarstellung, S. 101f.

[20] Vgl. Rotvo: The Animal Estate, S. 60. Die grafischen Reproduktionen jener Gemälde wurden von einer Bildunterschrift begleitet, die neben Angaben zu Züchtung, Größe und Gewicht des Tieres auch Aufschluss über die Besitzverhältnisse gab.

[21] Koszary: look at this absolute unit, o.S.

[22] Vgl. hierzu bspw. Ngai: Our Aesthetic Categories, S. 78.

[23] https://www.instagram.com/chonky.animals/ [Link mittlerweile erloschen] (448.000 Abonnent*innen) [27.09.2019].

[24] https://www.instagram.com/wow_absolute_units/ (22.000 Abonnent*innen) [27.09.2019].

[25] https://www.instagram.com/thic.bois/ (101.000 Abonnent*innen) [27.09.2019].

[26] Liessmann, Konrad Paul: Ästhetische Empfindungen. Eine Einführung, Wien 2009, S. 63.

[27] Vgl. Gunkel, Katja: Squeezing Animals. Über die Verformbarkeit des Niedlichen (Konsumrezension Winter), http://www.pop-zeitschrift.de/2019/01/28/konsumrezension-wintervon-katja-gunkel28-1-2019/ [27.09.2019].

[28] https://www.instagram.com/chonky.animals/ [Link mittlerweile erloschen] [27.09.2019]

[29] Der von Birgit Richard et al. geprägte Begriff des animal ego bezeichnet v.a. im Kontext von YouTube eine Unterkategorie des ego clips. Hierunter werden vornehmlich Videos rubriziert, die der Selbstinszenierung ihres*r Urhebers*in dienen: „[D]iese Clipsorte [dient] der exzessiven narzisstischen Selbstdarstellung […]. […] Eine Sonderform ist animal ego: Tiere führen als Extension des medialen ‚Selbst‘ Kunststückchen vor.“ Richard, Birgit; Grünwald, Jan; Recht, Marcus; Metz, Nina: Flickernde Jugend, rauschende Bilder. Netzkulturen im Web 2.0, Frankfurt am Main 2010, S. 62; Herv. i.O

[30]Vgl. https://fatcatart.com/ (127.000 Abonnent*innen) [27.09.2019].

[31] Vgl. https://fatcatart.com/ [27.09.2019].

[32]„Only great artists can appreciate Our generous body and sublime soul […].“ http://fatcatart.ru/2011/02/koty-i-yskusstvo/?lang=en [27.09.2019].

[33] FatCartArt.com: How to welcome the Fat Cat, 0:34 min., www.youtube.com vom 17.08.2019, https://www.youtube.com/watch?v=eefqRcBRHOg&feature=player_embedded [27.09.2019].