Konsumrezension Herbst
von Ole Sonntag
12.11.2018

Zalando Wardrobe: Ein Perpetuum Mobile

Es ist erstaunlich, dass es diese App nicht längst schon gibt. Zalando Wardrobe ist ein Secondhandshop, ein digitaler Kleiderschrank, eine Outfit-Plattform und ein Soziales Netzwerk in einem. In Zeiten von Influencern ist Mode mehr denn je zum Kommunikationsmedium geworden: Ob man sich mit einem bestimmten Styling als stilvoll erweisen will, mit Sprüche-Shirts eine Haltung zum Ausdruck zu bringen versucht oder sich zu nachhaltigem Konsum bekennt: Mode ist auf Selfies und anderen Bildern im Social Web immerzu präsent – aber auch archiviert. Instagram vergisst nicht, was letzte oder vorletzte Woche getragen wurde. Kleidung muss deshalb schneller fluktuieren. Aus diesem Grund ist es ein kluger Schritt von Zalando, in den Recommerce-Markt einzusteigen.

Secondhandshop: Der „Marktplatz“

Zunächst zu den Verkaufsmöglichkeiten. Hier vereint Zalando Wardrobe zwei bewährte Konzepte: Es gibt zum einen die Möglichkeit, gebrauchte Kleidung selbst zu verkaufen, wie man es von vergleichbaren Plattformen wie Kleiderkreisel oder Mädchenflohmarkt kennt. Zum anderen bietet Zalando an, Kleidungsstücke anzukaufen – allerdings nur von Marken, die das Unternehmen auch führt. Das ist allerdings kaum problematisch, denn es gibt nicht nur sehr viele Marken in unterschiedlichsten Preissegmenten.  Auf lange Sicht – wenn sich die App etabliert – könnte diese Bedingung sogar dazu einladen, bevorzugt bei Zalando einzukaufen. Man bekommt von Zalando zudem deutlich mehr Geld angeboten als beispielsweise bei benachbarten Anbietern wie momox. Für die Konsumentinnen bedeutet das im Idealfall, dass sie ihre alten Kleidungsstücke nicht mehr auf vielen unterschiedlichen Seiten einstellen müssen, sondern alles in einer App beisammen haben.

Digitaler Kleiderschrank: Die „Wardrobe“

Alles beisammen zu haben, endlich einen Überblick zu gewinnen über das, was man an Mode und Accessoires besitzt, ist auch der Grundgedanke hinter der eigentlichen Wardrobe, dem digitalen Kleiderschrank.

Was direkt bei Zalando erworben wurde, wird automatisch mit den Produktbildern im persönlichen Kleiderschrank angezeigt, alles andere muss abfotografiert werden – was aber in Zeiten von Bildplattformen wie Instagram, Pinterest und Tumblr keinerlei Hürde darstellt. Wenn man in etwas trainiert ist, dann im Bildermachen. Man kann es sich als schöne sonntägliche Beschäftigung vorstellen, endlich einmal den Kleiderschrank zu digitalisieren. Geordnet wird dann nach Produktkategorien wie „Sweat & Strick“, „Kleider“ oder „Hosen & Jeans“. Wie in einem Sammelalbum liegen die einzelnen Stücke in der App, fein sortiert. Möglicherweise erregt das sogar die Sammellust. Vorstellbar ist zudem, dass sich, wie in den Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock, ein festes Setting an Objekten oder Objekttypen etabliert, sodass auch die Sammlungen in ihrer Gesamtheit verglichen werden können.

Gewiss wäre es eine Verbesserung, wenn man eigene Kategorien erstellen könnte: nach persönlichen Themen, nach Situationen oder Funktionen. So könnte die Wunderkammer wie eine Ausstellung auch angemessen kuratiert werden. Das hätte schließlich weitreichende Folgen für das Verständnis von Mode: Sie käme nicht mehr hauptsächlich im performativen Aufführen von Kleidern voll zur Geltung, sondern mehr denn je als zu bewahrendes Objekt. Hier ist eine noch stärkere Annäherung von Mode und Kunst denkbar, wenn denn Kleidung, Schmuck, Accessoires etc. nicht mehr so stark auf den Körper bezogen wären.

Mit den kleinen Bildern kann man dann zweierlei anstellen: Sie lassen sich mit einem Verkaufssymbol versehen, oder die Nutzerin kann „Outfitvorschläge“ anfordern. Die Vorschläge basieren auf den Outfits anderer Nutzerinnen. Da bisher offenbar noch relativ wenig professionelle Influencerinnen oder Stylisten angemeldet sind, stellen diese Vorschläge allerdings nur bedingt eine Inspiration für eigene Zusammenstellungen dar.

Kreative Plattform: Die „Outfits“

Die genialste Funktion von Zalando Wardrobe ist die Outfit-Plattform. Sie ist vergleichbar mit Fotografie-Foren aus der Frühzeit des Internets bis heute, in denen man sich über die eigenen Bildkreationen austauscht. Mit Sicherheit wird ein Styling dadurch künftig mehr denn je als eine kreative Leistung angesehen werden. Das war zwar auch bisher üblich – im Bereich Modedesign und High Fashion – in der Massenmode jedoch nicht. Hier galt es vielmehr, Normen und Regeln zu erfüllen, auch wenn diese auf Trends basieren, die erst erkannt werden müssen. Zalandos Outfit-Plattform könnte nun – Instagram hat diese Tendenz bereits eingeläutet – dazu anregen, dass sich viel mehr Menschen viel experimenteller kleiden. Nicht nur, um auszudrücken, dass sie kreativ und originell sind, sondern auch, weil sie stets gefordert sind, neue Outfits zu teilen. Man kann auf einer Outfit-Plattform schließlich nicht immer dasselbe Outfit tragen, genauso wenig wie Influencerinnen auf Instagram. Dazu aber braucht man stets neue Mode, die man sich dann wiederum entweder auf Zalando oder auf dem Marktplatz von Zalando Wardrobe (günstig oder teuer) und mit nur wenig Klicks besorgen kann. Damit hat Zalando Wardrobe ein Perpetuum Mobile geschaffen, das, einmal in Gang gesetzt und ohne weitere Energiezufuhr von außen, ewig in Bewegung bleiben kann.

Allerdings ist auch Kreativität keine unerschöpfliche Ressource. Wer einmal keine Styling-Idee hat  (hier sei an das Klischee erinnert, Frauen stünden vor dem überfüllten Kleiderschrank und wüssten trotzdem nichts anzuziehen), kann sich lässig durch die Outfits anderer Nutzerinnen scrollen und inspirieren lassen. Wird man von einem Styling besonders angesprochen, braucht man nur die „Match my Wardrobe“ Funktion zu aktivieren – und schon sucht Zalando Wardrobe im persönlichen Kleiderschrank nach vergleichbaren Stücken, die ein ähnliches Styling ermöglichen. 

Insgesamt ist bei Zalando Wardrobe ein Outfit die Summe seiner einzelnen Teile. Das ist noch deutlich zu flach gedacht, widerspricht die Idee des Bausatzes doch den Anforderungen an Kreativität und Virtuosität.

Soziales Netzwerk: „Mein Feed“

Im Feed erscheinen die Outfits von Nutzerinnen, denen man folgt. Hier soll eindeutig ein Soziales Netzwerk entstehen, das aber im Moment noch sehr große Schwächen aufweist. Outfits können beispielsweise nicht geteilt oder kommentiert werden – nur ein simples „Like“ ist möglich. Und was man leider gar nicht sehen kann: Wem das Outfit noch gefällt. Was man auch nicht sehen kann: Wer wem folgt (nur wie viele Follower jemand hat). Damit gehen entscheidende soziale Mechanismen verloren, die zu hohen Interaktionen und Aktivitäten führen könnten und schließlich Ansporn für die Nutzerinnen wären, mehr Stylings zu zeigen und sich darüber auszutauschen. Zalando Wardrobe als Soziales Netzwerk auszubauen, könnte sogar eine Bedingung für seine Funktionsfähigkeit und den noch ausstehenden Erfolg sein. 

Ein weiteres, erschreckendes Manko, soll nicht unerwähnt bleiben: Im Moment ist Zalando Wardrobe nur für Frauen.