Wessen Subversion? Rezension zu »Compared to What? Pop zwischen Normativität und Subversion«
von Moritz Baßler
13.8.2018

Die subversiven Möglichkeiten von Pop

[zuerst erschienen in: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 12, Frühling 2018, S. 126-132]

Vorweg: Was für ein grandioser Titel! Das Zitat aus dem gleichnamigen Roberta-Flack-Song (»Trying to make it real / compared to what?«) könnte, ja möge fortan aller künftigen Pop-Forschung als Motto voranstehen – stellt es doch die Frage nach der Paradigmatik, nach den Alternativangeboten und also nach dem kulturellen Raum der Sinngebung, in dem wir alle uns bewegen! Rückt man allerdings, wie der von Tobias Gerber und Katharina Hausladen herausgegebene Band, die subversiven Möglichkeiten von Pop ins Zentrum der Betrachtung, dann wäre vor der komplexen Vergleichsoperation zunächst eine vermeintlich simplere metonymische Ergänzung zu leisten, die Katalyse durch ein Genitivobjekt: Subversion wessen?

Immer noch vorweg und stark simplifiziert lässt sich sagen: Die produktiveren Beiträge des Bandes stellen sich dieser Aufgabe und geben sich daraufhin entsprechend skeptisch, und zwar weniger, was die Möglichkeiten von Subversion durch Pop allgemein betrifft, als vielmehr gegenüber der Frage, wie wünschenswert eine solche überhaupt wäre. »You say you want a revolution / well, you know…« Konkret könnte man das etwa in jene Frage gießen, zu der sich Moritz Eges Beitrag denn letztlich doch nicht durchringen kann: Wenn sich die von ihm empirisch erforschte Picaldi-Szene mit ihrem Kult von Gewalt, prolliger Männlichkeit und kleinkriminell-mafiösen Gangsta-Strukturen ästhetisch vom Berlin-Mitte-Hipstertum absetzt, in dem zwischen Bartmode und Klapprädern gender-, partei- und ernährungspolitisch um das Gute und Richtige gerungen wird, dann ist klar, wo die Coolness-Punkte in Sachen Subversion hingehen – aber will man, dass hier tatsächlich etwas subvertiert wird? Nein, das will man, wenn man ehrlich ist, auf gar keinen Fall.

Immerhin – in angewandten Beiträgen wie dem von Ege werden die Problemlinien popkultureller Subversion in ihrer Virulenz sichtbar. Das gilt auch für Drehli Robniks hübsches, ach was: brillantes Kabinettstückchen über Siegfried Kracauers Lektüre des »Dr. Caligari« und die Relektüre durch dessen Herausgeber Quaresima. Kracauer sah bekanntlich die autoritätskritische (also potentiell subversive) Handlung des Films durch dessen Rahmen narkotisiert, der die Hauptfigur als Patient in einer Irrenanstalt zeigt, während Quaresima das subversive Potential gerade in der »retroaktiven Revidierung« erkennt, die erst durch diesen Rahmen entsteht. Sie weist auf heutige Mindgame-Filme voraus, von denen Robnik dann einen aktuelleren analysiert (»Der Nachtmahr«, 2015). Was ist subversiver, inhaltliche Opposition oder Strukturbruch? Und wie kann es gelingen, über eine längere Rezeptionsgeschichte hinweg einem »Subversionsimpuls die Treue zu halten«? Das sind produktive Fragen, unter denen sich auch der eher anekdotische Beitrag von Hans-Christian Dany über die Kleidung seiner Mit-Künstler (»Die Mode scheint aus der Mode gekommen zu sein«) unter besonderer Berücksichtigung der Bomberjacke interessant systematisieren ließe. Überhaupt erweisen sich – wie eigentlich immer im Pop-Diskurs – die Studien, die einen konkreten Gegenstand zum »Einsichtsschauplatz« (Robnik) ihrer Thesenbildung machen, dem reinen Theoretisieren über Begriffe als überlegen. Nicht weniger als den »Begriff der Subversion operationalisierbar gemacht« zu haben, reklamiert freilich Thomas Ernst für sich und bietet vier Bedeutungen an, die mir aber nicht so recht auf der gleichen systematischen Ebene zu liegen scheinen und zudem einigermaßen abstrakt bleiben, genau wie die Analysekriterien, die er, ebenfalls durchnummeriert, hinzufügt (z.B. 2. Formen und Schreibweisen, 3. Inhalte – nun ja). Mutatis mutandis lasse sich das auf andere Medien übertragen. Wenn das irgendwo weiterführt, dann jedenfalls nicht hier.

Ganz anders die erfahrungsgesättigten und dennoch begrifflich konzisen Beiträge von Diedrich Diederichsen und Christian Höller, die auf ein grundlegendes Problem des Themas aufmerksam machen: dass es nämlich ein Geschichtsmodell braucht, um eine sinnvolle Dialektik von Normativität und Subversion zu formulieren. Die großen Geschichtserzählungen aber, die in anderen Beiträgen noch als idées reçues weiterleben, stehen derzeit nicht recht zur Verfügung, sie haben sich, so Diederichsen, längst »in Granulat verwandelt: lauter kleine, aber massive Kugeln«. Hier ist denn auch die Schnittstelle zu den Diskursen von Postmoderne (Jameson), Retromania (Reynolds) und Depression (Fisher) markiert – Höller spricht von »lähmender Immanenz« –, ohne die gegenwärtig von Subversion zu handeln notwendig gestrig erscheinen muss. In der Tat lautet ja die aktuelle Version der Frage, ob und wie sich »liquid gewordene Strukturen« überhaupt noch »wirksam unterspülen« ließen (Höller). Vor diesem Horizont bleibt Subversion, wie Gerber und Hausladen bemerken, »ein weit mehr als nur bedenkliches Konzept«.

So kommt es, dass manches von dem, was man aus diesem schönen Band lernen kann, von einigen seiner Beiträger erst noch zu lernen wäre: (1) Nur weil etwas anders ist als der Mainstream – und was erhöbe diesen Anspruch heutzutage nicht? –, ist es noch nicht subversiv. Eine Wiener Queer Femme und Burlesque-Performerin etwa (Beitrag von Georg Spitaler) repräsentiert eine kulturelle Nische, die vielleicht sympathisch anders ist als der heteronormative Alltag, aber im Jahr 2017 ungefähr so subversiv wie der Märklin-Eisenbahnladen an der Ecke. (2) Auch die Arbeit an der Verbesserung der Diskurse und Verhältnisse, mit der wir alle beschäftigt sind, ist nicht subversiv. Denn Subversion, so Diederichsen in seinen zehn Thesen, »ist blind«, ihr Begriff umfasst »nicht die Aufklärung über das aufgelöste und überwundene Verhältnis«, geschweige denn lebbare Alternativen, sondern »nur die Auflösung«. Auch Christian Höller betont diese »Perspektivlosigkeit alles Subversiven« und sieht dessen Durchschlagskraft »eher in einer abrupten, ja ungeplanten Öffnung hin auf etwas noch Undefiniertes«. Von dem eben keineswegs gesagt ist, dass es uns auch gefällt, wenn es denn kommt (daran gemahnt der Beitrag von Sofia Bempeza über »›Subversion‹ im Kontext der Neuen Rechten«).

Subversion ist, mit anderen Worten, nicht per se der Normativität vorzuziehen, auch wenn das zu den gut abgehangenen Klischees des Pop-Diskurses gehört, von denen sich einige Artikel des Bandes denn auch nicht ganz lösen können. So beklagt Roger Behrens in altlinker Manier die ständige Vereinnahmung des Nonkonformen »unter der Regie der Konformität«, sei es durch Warenform oder Wissenschaft, die er deshalb langweilig findet. Und Nina Stuhldreher reklamiert für KünstlerInnen wie sich selbst eine Art präverbales Genie, dessen Ertrag in ihrem verbalen Beitrag konsequenterweise nicht recht zur Entfaltung kommt. Nun, man muss ja keine Wissenschaft betreiben, um sinnvoll über Pop (und Subversion) zu sprechen. Der Band vereint, genau wie unsere »Pop«-Zeitschrift hier, mit gutem Grund journalistische und akademische Beiträge. Aber wenn man schon wissenschaftlich auftritt und, wie etwa Marcus Maida, von Analyse und »Dekonstruktion« fabuliert (oder das schwierige Wort »gleichsam« verwendet), dann sollte man auch wissen, was das heißt, sonst produziert man zwischen Malapropismen und Dauerzitaten seiner selbst jene heiße Luft, die man eigentlich aus dem wissenschaftlichen Subversionsbegriff hinauslassen wollte. 

Zufällig las ich parallel zu diesem Band »The Swerve«, Stephen Greenblatts großartige Studie über die Wiederentdeckung von Lukrezʼ »De rerum natura« in der italienischen Renaissance – einem Buch, dessen Wirkung nun wahrlich subversiv war. Für die Pop-Subversion lässt sich aus Greenblatts historischer Rekonstruktion zweierlei entnehmen: Zum einen war es die ästhetische Form, die perfekten Hexameter, die die antike epikuräische Schrift für die Humanisten unwiderstehlich machte, trotz der für eine christliche Gesellschaft ketzerischen Inhalte (wie beispielsweise: Die Welt besteht aus Atomen. Es gibt kein Leben nach dem Tod. Sinn des Lebens ist die Maximierung des Wohlbefindens). So ist es eben auch der energetische Sound, der Rock’n’Roll oder Punk eine Durchschlags- und Beharrungskraft verleiht, die ihre epikuräischen Botschaften in Thesenform nie erlangt hätten. Deshalb ist, so Diederichsens fünfte These, Pop-Musik in gewisser Hinsicht immer subversiv geblieben, denn ihr »gelingt es wie vielen Waren weiterhin, uns faul, hedonistisch und ausschweifend benehmen zu lassen.« Zum anderen aber entfaltet Lukrez seine Wirkung keineswegs im Abseits, sondern in den Zentren der Macht und Kultur (sein Wiederentdecker, Poggio Bracciolini, war Sekretär mehrerer Päpste). Randständiges, heißt das, kann sein subversives Potential nicht entfalten, solange es randständig bleibt. Ob es uns gefällt oder nicht: nicht Big Mama Thornton, Muddy Waters oder Country Joe and the Fish waren subversiv, sondern Elvis, die frühen Rolling Stones und die Beatles. Appropriation durch dominante Kulturträger ist Bedingung jeder Subversion. 

Woraus paradoxerweise folgt, dass die subversive Geste »in dem Moment, in dem sie als solche benannt ist, auf[hört], in wirksamer oder interessanter Weise subversiv zu sein.« (Höller) Und zwar, könnte man hinzufügen, weil ihr Potential dann ja bereits in die Normativität eingegangen ist. Es geht dann eben nicht mehr so, sondern anders weiter (Und wenn nicht? Dann war es auch nicht subversiv.). Ästhetisch bedenklich wird es dagegen überall dort, wo die Geste der Subversion auf Dauer gestellt wird, um die Nachfrage nach Dissidenz zu befriedigen. Höller bringt dafür ein schönes Beispiel: Als Ari Up einmal auf der Bühne pinkeln musste und das dann einfach tat, war das subversiv. Doch: »Wie lächerlich wäre (und war es historisch), das ungehemmte Versprühen von Körperflüssigkeiten gleichsam zum Programm zu erheben, dem Spucken, Pissen, Schwitzen und sonstigem Zerfließen sozusagen dauerhaften Wert beimessen zu wollen«. In der Tat. Das ist dann eben auch kein Pop mehr, sondern schlechtes Theater, jene selbstzufrieden-dauerdissidente Variante bundesrepublikanischer Hochkultur, aus der uns Pop in den 60er und 70er Jahren erfolgreich befreit hat. Wiederholen wir nicht deren Fehler sub specie Pop!

 

Tobias Gerber und Katharina Hausladen (Hg.): Compared to What? Pop zwischen Normativität und Subversion, Wien 2017.

Stephen Greenblatt: The Swerve. How the World Became Modern, New York/London 2011.

 

Weitere Hinweise zu Heft 12 von »Pop. Kultur und Kritik« hier.