The Vikings Return. Über die Unmöglichkeit, Histotainment und Wissenschaft erfolgreich zu vereinen
von Niels Penke
7.6.2017

Drachenschiff statt rostzerfressene Halbheiten

„Vikingarna är tillbaka igen“ – an jedem zweiten Laternenpfahl Stockholms wird derzeit die Rückkehr der Wikinger verkündet.

denke

Mittels populärer Chiffren, die wenig überraschend Drachenboote in Aktion, weißrote Segel, Helme und Schwerter kompilieren, verheißt das Museum Vikingaliv ein ‚wahres Abenteuer’, für die ganze Familie. Und für Schweden – immerhin wirkte König Carl Gustaf selbst mit medievaler Bügelschere und Helm an der Eröffnung mit.

Erstaunlich ist, dass hinter dieser aufmerksamkeitsheischenden Werbeikonografie mit den altbekannten Emblemen nicht nur eine multimediale Ausstellung mit wissenschaftlichem Fundament steckt, sondern – noch erstaunlicher – durchaus ideologiekritischer Perspektivierung. Nachdem Fotokulissen und Kasse passiert sind, eröffnen die MacherInnen den Rundgang durch die Ausstellungsfläche mit der Frage nach dem ‚How did it happen?’ Wie konnte sich Schweden derart erfolgreich an der Erfindung des Wikingers beteiligen und die kulturellen Festschreibung so weit vollziehen, dass sich etwa heutige Fußballfans ironisch-unironisch mit Hörnerhelm als authentische Nachfahren inszenieren? Über nationale Mythenbildung, die sich nur insofern für historische Wirklichkeit interessierte, wie sie die gewünschten Belege bieten konnte. Der überwiegende Teil wird als Phantasterei erkannt, demnach stellt sich das Museum die Aufgabe ‚It’s time to modify this picture!’.

Diese angestrebte Modifikation unterläuft sich allerdings medial selbst. Neben klassischen Replikaten zum Anfassen und ansprechend gestalteten Schaubildern bietet Vikingaliv auch einige multimediale Angebote, die merklich im Zentrum der Publikumsaufmerksamkeit stehen. An Themenstationen, die mehrere Videosequenzen von wenigen Minuten Länge bieten und in denen teils Spielfilmszenen, teils Interviews ausgewiesener ExpertInnen zu sehen sind, können sich die Besucher über Geschlechterrollen und soziale Funktionen, Raubzüge und Handel, Magie und Religion informieren zu lassen. In der Gesamtheit von ca. 40 Filmclips nimmt dies bis zu zwei Stunden in Anspruch, und erfordert inmitten des lautstarken Trubels drum herum große Aufmerksamkeit und gute Nerven.

Nicht von ungefähr ist das Herzstück des Museums eine Wikingerfahrt. Wie in einer Geisterbahn lässt sich auch die Ragnfrids Saga (vollautomatisch) erfahren. Elf Minuten dauert die Reise an Miniatur-Landschaften und Spielfilmsequenzen entlang, welche die Geschichte von Ragnfrid und ihrem seefahrenden Mann erzählen. Auch wenn es sich um eine Neuerfindung handelt, sind die Stationen, Figuren und Motive allesamt aus den mittelalterlichen isländischen Sagas bekannt. Daher wirkt die Rundfahrt stimmig, auch wenn sie technisch noch nicht ganz ausgereift ist (besonders die schwankende Lautstärke und zahlreiche Störgeräusche sind der vollständigen Immersion ins kriegerische und magieerfüllte Mittelalter abträglich). Insgesamt unterhaltsam, bilderreich – aber doch faktenarm.

Um die konkreten historischen Hintergründe und Details nachzureichen, zeigt eine großformatige, reich bebilderte Zeittafel die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen. Diese ist gut gemacht, aber deutlich zu komplex, wie die Praxis zeigt. Obwohl die Tafel einen klaren Eindruck davon vermittelt, dass es so etwas wie homogene Völkerschaften auch im 10. Jahrhundert kaum gegeben hat, phantasiert eine Zweiergruppe neben mir von „ihren wilden Vorfahren“. Sie sprechen Deutsch und verstehen offenbar kein Wort des dort Geschriebenen, ihr kulturelles Vorwissen scheint allerdings so stark eingeprägt, dass jede museumspädagogische Relativierung daran scheitert.

Oder verstellt die Erwartung eines eventförmig organisierten Wikingerlebens bereits die angestrebte Relativierung? Sind die Bildschirme und interaktiven Module bereits zu viel Entertainment, um noch Faktenwissen vermitteln zu können?

Aber die Alternativen sind weniger populär. Im Hinblick auf ein größeres Publikum haben wissenschaftliche Perspektiven auf die Wikingerzeit vom 8. bis 11. Jahrhundert zwei Makel: sie sind, wie immer, wenn über große Zeit- und Georäume gesprochen wird, komplex. Zugleich sind sie aber auch defizitär, da die Quellenlage lückenhaft ist. Schriftliche Selbstzeugnisse aus ‚heidnischer’ Zeit gibt es kaum, und wenn, sind sie viel später verfasst. Wie zuverlässig Fremdbeschreibungen sind, ist wiederum schwer einzuschätzen. In jedem Fall sind sie auf Interpretationen angewiesen, die auf Grundlage archäologischer Funde schwierig bleiben, da die Sagbarkeit limitiert ist – wer sich nur an die Sachlage ohne bunte Imaginationen hält, wird keine Besucherströme locken können.

Wie karg diese Annäherung über das bloße Material beizeiten ausfällt, zeigt das Historiska Museet nur wenige hundert Meter weiter. Rostzerfressene Halbheiten sind ein ungleich schlechteres Material bunte Vorstellungen vom Mittelalter vors geistige Auge zu zaubern. Entsprechend leer sind die Schauräume hier.

Viel besser funktionieren die etablierten, immer ähnlichen Bilder von weiß-roten Segeln und dem Drachenhals – da folgt der Rest automatisch und die Imagination macht schnell eine klare Sache daraus. Insofern zeugt das Vikingaliv allzu deutlich von der Unmöglichkeit, das Mittelalter zugleich populär und wissenschaftlich angemessen auszustellen. Die Gegenprobe zumindest klingt nicht erfolgversprechend. Ein Pflug kann das Schwert, ein Schweinekoben das Drachenschiff vermutlich nicht ersetzen.

 

 

Dr. Niels Penke ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Universität Siegen.