Klassentreffen mit den Gilmore Girls. »A Year in the Life« – Revue und Metafiktion ›in Spotlights‹
von Maren Lickhardt
26.12.2016

Ein neues Jahr

Lorelai: Please, Luke. Please, please, please. Luke: How many cups have you had this morning? Lorelai: None. Luke: Plus? Lorelai: Five, but yours is better.

Aus dem Off hallt am dunklen Bildschirm das Echo dieser Sätze, mit denen Lorelai Gilmore im Jahr 2000 geboren wurde und sich als kaffeesüchtige, überdrehte Serienfigur konstituiert. Die Fortsetzung führt uns 2016 gleich zum Auftakt in diese Vergangenheit und gibt mit dem Zitat und einigen weiteren zu verstehen, dass wir es nun mit einem Echo zu tun haben.

Das damals Gesagte hatte einen enormen Impact und gebrochen an unserer Rezeption und der popkulturellen Folgekommunikation gelangt es nun zur Produktion zurück. Es vollzieht sich die eigene Reflexion der Serie, bei der wir RezipientInnen den Spiegel bilden.

Dass das Ende der alten Staffeln zehn Jahre zurück liegt, ist für die Fortsetzung zentral, die sich um diese Leerstelle und die darin entstandenen Fragen, Erinnerungen und Bezüge rankt. Denn es muss betont werden, dass der offensichtliche Hang zu diversen Körperkultpraktiken seitens der DarstellerInnen es leicht ermöglicht hätte, so gut wie nahtlos an den zeitlichen Horizont der alten Diegese anzuknüpfen.

Kaum eine(r) der DarstellerInnen sieht um zehn Jahre gealtert aus, aber es rankt sich fiktiv, fiktional und metafiktional alles um die Tatsache, dass und wie zehn Jahre vergangen sind, und dass eine Fortsetzung nach zehn Jahren besondere Erwartungen erzeugt, die letztlich das Thema der neuen Folgen sind; wir RezipientInnen werden also gespiegelt, bestätigt und überrascht.

Wesentlich ist nämlich, dass es diese zehn Jahre in unserem realen zeitlichen Horizont gegeben hat, und dass wir in den zehn Jahren Teil der Popkultur waren, aus der die Gilmore Girls verschwunden sind und gleichermaßen nicht verschwunden sind.

Wir haben die Wiederholungen der Serie nicht nur unzählige Male erst auf VOX und dann vielleicht auf Netflix gesehen, sodass uns Lorelai und Rory Gilmore wie alte Freundinnen erscheinen, sondern uns sind auch Lauren Graham und Alexis Bledel bestens aus anderen Produktionen und den Boulevardmedien vertraut.

Es ist unsere Lebenszeit, die in die neue Diegese einbricht und sie mitstrukturiert, und es entsteht eine merkwürdige Spannung nicht nur zwischen den beiden zeitlichen Horizonten der Serie als fiktive Szenarien, sondern auch zwischen Fakt und Fiktion sowie der Anlage, dass die Serie als konserviertes Produkt nicht altert und in einer überzeitlichen Dimension schwebt und gleichzeitig innerhalb von zehn Jahren so oft reflektiert und neu bewertet werden konnte, dass sie sich mit uns und den lebenden DarstellerInnen irgendwie doch mitbewegt.

Die erste Szene zeigt den Pavillon im Park von Stars Hollow; eine Art Bühne. Aus einer kleinen Ansammlung von Menschen vor dem Pavillon gehen einzelne Personen nach links und rechts aus dem Bild wie sich ein Vorhang aufzieht oder – noch konkreter – Nebendarsteller in einer Tanzshow den Blick auf die Hauptdarsteller frei machen, und dann sehen wir Lorelai auf der Treppe sitzen. Rory kommt, und die Fortsetzung setzt mit einem der üblichen Screwball-Dialoge in medias res ein.

Wir erkennen erleichtert, dass sich nichts verändert hat. Der Hang zur dialogischen Digression wird nicht zugunsten narrativer Straffungen aufgegeben. Obwohl klar ist, dass wir auf den ‚Faden der Erzählung‘ warten, der die Geschichten verknüpft, wird ein ‚Gefilz‘ aus tausenden kleinen Fasern ausgebreitet – die Anleihe bei Musil sei erlaubt.

Und so plappern Lorelai und Rory – nachdem Lorelai einen winzigen Moment zu lange mit geöffnetem Mund mit dem Einsatz ihres Auftaktparts zögert, was die Spannung der Zusehenden darstellerisch reflektiert – entspannt darüber, wie gut oder schlecht man nach einem Langstreckenflug aussehen kann, als gäbe es die zehn Jahre nicht, statt die Informationen aus der Zeit preiszugeben, die wir haben wollen. Also kein: Hey, wo ist denn Dein Freund X, mit dem Du in Y lebst, wo Du bei der Zeitung Z arbeitest. Ein derart überspitzter und ironischer Einsatz wäre vorstellbar gewesen.

Aber Lorelai und Rory haben sich innerhalb der Diegese schließlich nur mehrere Monate nicht gesehen und können spielerisch Alltägliches aushandeln. Dann hält die Serie aber doch kurz inne, um Zeit zu thematisieren. Nach dem schnellen Dialog atmen beide durch und konstatieren, dass sie dies schon eine Weile nicht gemacht haben, und hier sprechen ganz klar auf einer metafiktionalen Ebene die Schauspielerinnen Graham und Bledel über das Spielen schneller Dialoge und nicht Mutter und Tochter im Rahmen der Diegese. „Lorelai: Haven’t done that for a while. Rory: Felt good. Lorelai: How long’s it been? Rory: Feels like years.“

Dann imitieren die beiden ein typisches Mutter-Tochter-Gespräch in seiner Klischeehaftigkeit, indem sich Lorelai theatralisch darüber beschwert, dass Rory nur eine Nacht bleiben will, nachdem sie ja schon Thanksgiving und Weihnachten verpasst hatte und dass nun sehr gedrängt alle üblichen Rituale vollzogen werden müssen.

Dies entspricht den vier neuen Folgen, die komplett mit Programm überfachtet werden müssen, um allen gewohnten Ritualen, dem Fortgang der Handlung und dem Füllen der metafiktionalen Lücke von zehn Jahren gerecht zu werden. Der erste Programmpunkt ist dann ein Rundgang durch die Stadt. Wir verfolgen Lorelai und Rory in einem uns sehr vertrauten Szenario. Gleichzeitig sehen wir Graham und Bledel durch ein museales Filmset gehen.

Die Fortsetzung macht den Konstruktionscharakter der Serie noch transparenter, als er es ohnehin schon war, weil kaum in einem psychologisch-realistischen Ton gefragt wird, was sich wohl organisch in der fiktiven Welt entwickelt haben mag, sondern man ist gespannt darauf, was Amy Sherman-Palladino und ihr Produktionsteam zu inszenieren entschieden haben. Dass die Elemente schon da sind und wiederkehren werden, ist irgendwie klar, aber Dramaturgie und Choreographie stehen in Frage.

Und dann geht die Revue der bekannten Figuren und Situationen los:

I:00:03:44 / Miss Patty:
winkt Rory bei dem Stadtrundgang aus der Tanzschule zu. Da die Darstellerin Liz Torres äußerst erschlankt ist, fragt man sich für einen Moment erschrocken, ob man es wohl gewagt hat, das Fiktive ohne das Faktuale zu reproduzieren und die Darstellerin zu ersetzen, aber wir sehen erleichtert tatsächlich Liz Torres und merken umso mehr, dass es ohne die Metafiktion in dieser Fiktion nicht geht, dass eine Figur nicht ohne ihr pop-kulturelles Pendant in der realen Welt leben kann, dass sich nichts ändern darf. Dass Abnehmen unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht immer von Vorteil ist, weil dadurch die natürliche Unterfütterung der Falten fehlt, lernt man auch – was wäre ein Klassentreffen ohne Lästern?

I:00:05:11 / Lane:
erzählt Rory in Doose’s Supermarket, dass ihr Mann Zack nun aufgrund einer Beförderung Anzüge tragen muss und sich dabei äußerst unwohl fühlt. Will sagen: Das Band-Mitglied wurde nicht zum Spießer gemacht, obwohl man ja sagen muss, dass es wohl nichts Spießigeres gibt als Männer, die Angst vor Anzügen haben.

I:00:05:45 / Kirk:
erzählt Lorelai von seinem neusten widersinnigen Geschäftsmodell und führt – es wundert natürlich nicht – sein Hausschwein spazieren. Am Ende der Fortsetzung dekoriert er Lorelais Hochzeits-Setting, und macht zum ersten Mal in der Serie alles richtig. Das könnte ein Hinweis, darauf sein, dass es keine zweite Staffel geben wird, denn was könnte noch darauf folgen, dass Kirk aus seiner Rolle fällt.

I:00:07:34 / Der Troubadour:
steht an der Straßenecke und singt.

I:00:08:51 / Paul Anka:
trägt einen Hunde (?)-Silvesterkopfschmuck, der auf das Jahr 2016 verweist.

I:00:08:59 / Luke:
steht in der Küche und kocht und schimpft natürlich, weil die beiden Gilmores – wie üblich (das schreibe ich nur einmal, meine es aber im Grunde bei fast jedem Satz) –  schon vor dem Essen alles Mögliche durcheinander in sich hinein stopfen. Dass Lorelai und Rory das können, ohne unter Verdauungsstörungen zu leiden, weist sie als post- und pop-moderne Zitations- und Verwertungsmaschinen, als Collagen aus.

I:00:10:05 / Der Yale-Wimpel über dem Spiegel in Rorys Kinderzimmer:
hängt noch über dem Spiegel in Rorys Kinderzimmer.

I:00:20:04 / Edward Herrmann:
nein, ich meine nicht Richard Gilmore, sondern Edward Herrmann. Lorelai und Rory unterhalten sich über den Tod des Vaters und Großvaters Richard, der in der Fortsetzung unvermeidlich war, weil der Darsteller Edward Herrmann 2014 verstorben ist. Dann heben nicht Lorelai und Rory am Küchentisch in Lorelais Haus das Glas, sondern Lauren Graham und Alexis Bledel prosten am Filmset mit dem Toast „To absent friends“ u.a. Erward Herrmann zu. Die Serie fällt hier komplett aus der Fiktion, weil hier nicht der ‚Grandpa‘ adressiert wird.

Der Tod, den es in der ewig fortsetzbaren und vor allem ewig wiederholbaren Fiktion nicht geben kann, bricht in die Serie ein. Der Tod markiert die Grenze der Fiktion. Ein Schauspieler, der lebt, ist immer schon tot, wenn er in die Fiktion eintritt, weil er in ihr ewig aufgehoben werden kann; aber ist er, wie in der vorliegenden Konstruktion, wirklich tot, wird er auf der metafiktionalen Ebene erst recht lebendig und auch recht widerständig. Da die körperliche Existenz des Darstellers die Möglichkeitsbedingung der Darstellung des Fiktiven bildet, bewegen wir uns an der Stelle in die Realität hinein, die der Fiktion ihre Grenzen aufzeigt, die abreißen lässt, was eigentlich ewig sein will.

Edward Herrmann bildet aufgrund seines Todes die größte Leerstelle der Fiktion, die noch nicht einmal mehr durch Erwartungen und Spekulationen in der boulevadesken, popkulturellen Kommunikation gefüllt werden und auf diese Weise weiter leben könnte. Daher ist es folgerichtig, dass der Beerdigung von Richard Gilmore die einzige Rückblende der Serie gewidmet wird. Da der Tod nicht vorstellbar ist, wird die reale Leerstelle durch die fiktive Beerdigung geschlossen. Indem die Beerdigung gezeigt wird, wird Edward Herrmanns/Richard Gilmores Tod nicht in dem üblichen Spiel als imaginäre Leerstelle den RezipientInnen überlassen.

I:00:20:19 / Taylor Doose:
heckt seine üblichen Skurrilitäten aus.

I:00:20:36 / Caesar:
mit neuer Frisur in Lukes Diner, und immer noch zu dick.

I:00:24:06 / Michel Gérard:
enthüllt in den ersten drei Sätzen seines Auftritts, dass er nun mit einem Mann namens Frederic verheiratet ist, der sehr zu seinem Leidwesen einen Kinderwunsch hegt. Man hatte nie erwartet, je so viel von der Figur zu erfahren. Man hat es auch nicht gewollt. Diese Schließung des Imaginären stellt eine bewusste Inversion der alten Figurenkonstruktion dar, die augenzwinkernd die Aufmerksamkeit darauf lenkt, wie verstörend Veränderungen sind und wie sehr die Pop-Serie vom Ritual lebt.

Michel bildet in der Fortsetzung die Reflexionsfigur für unsere metafiktionalen Ängste, dass sich etwas aus unserer vertrauten Serienwelt geändert haben könnte. Während er sich selbst darüber echauffiert, dass sein Mann neuerdings eine Familie gründen möchte, kündigt er selbst bei Lorelai, weil er neue berufliche Herausforderungen sucht. Da Lorelai nun mit dieser Veränderung nicht leben will, kauft sie ein neues Gebäude für ihr Hotel, damit Michel sich in seiner erweiterten Funktion austoben und alles beim Alten bleiben kann. Im Grunde bleibt aber auch Michel wunderbar garstig und liebenswert wie immer. „He keeps shoving children in my arms. Hold this. What do you feel? Well, now there’s spittle on my Brioni suit, so, rage?”

I:00:28:32 / Gypsy:
meckert wie immer über Lorelais altes Auto – ja , diese fährt immer noch den Jeep Wrangler – und verweist darauf, dass sie für die Reparatur noch auf ein Ersatzteil wartet – „coming in a DeLorean from 1983“.

Lorelais Nostalgie wird ironisiert. Aber vor allem denkt man an den Film Back to the Future, in dem Marty McFly in einem DeLorean durch die Zeit reist, was ein wenig die Zeitsprung-Situation zwischen alter Serie und Fortsetzung bei den Gilmore Girls spiegelt und außerdem thematisiert wie schwierig es ist, die alten Elemente einem Time-Warp zu unterziehen.

Mehr noch wird unser eigenes Zeitempfinden herausgefordert und ein Spiel zwischen Fakt und Fiktion eröffnet. Man muss stutzig werden, weil Back to the Future aus dem Jahr 1985 ist, und man kann darauf kommen, dass Gypsy, wenn sie von einem DeLorean von 1983 spricht, tatsächlich das reale, materielle Auto meint. Abgesehen davon, dass das auch besser zu dieser Figur passt als ein Filmzitat, gibt es Autos, die als 1983er Modelle des DeLorean bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um die letzten Fertigungen des DeLorean DMC 12.

Wenn wir nun zuerst an Back to the future denken, muss uns im nächsten Schritt durch die Differenz von zwei Jahren bewusst werden, dass wir viel zu reflexartig an einen Film gedacht haben; und nicht eine Sekunde an die Möglichkeit, dass von einem realen Auto die Rede sein könnte. Natürlich lässt sich das mit Bezug auf den Film leicht glätten. Der 1983er DeLorean war neueste Modell, das im Film eingesetzt werden konnte, weil die DeLorean Motor Company Ende 1982 Konkurs ging, und Marty McFlys Auto ist in Back to the Future ja nicht brandneu, sondern vielleicht zwei Jahre alt.

Dennoch findet mit dem Verweis auf einen DeLorean von 1983 für einen Augenblick neben der permanenten Überlagerung zweier zeitlicher Horizonte eine Inversion von Fakt und Fiktion statt, denn wenn Gypsie den fiktionalisierten DeLorean bruchlos hätte benennen sollen, wäre es nicht falsch gewesen, von einem DeLorean von 1985 zu sprechen, weil das fiktional aufgeladene und gepimpte Auto ja tatsächlich aus dem Jahr 1985 stammt.

Und schließlich muss das Auto, das Lorelais Jeep Wrangler retten soll, ja zu einem Zeitsprung fähig, also das fiktionalisierte Auto sein, denn es wird nicht auf ein Ersatzteil aus einem DeLorean 1983 gewartet, der ausgeschlachtet werden soll, sondern darauf, dass ein Zeitreise-DeLorean, also der von 1985, ein Ersatzteil aus einem Jeep Wrangler aus der Vergangenheit bringt.

In dem so kleinen Satz „coming in a DeLorean from 1983“ steckt also nicht nur Nostalgie – Lorelais in Bezug auf ihr Auto, unsere in Bezug auf Michael J. Fox –, Ironisierung dieser Nostalgie, Intertextualität, Ironisierung der entsprechenden Aktualisierung seitens der RezipientInnen auf Basis intertextueller Kompetenz, Selbstreferentialität als Medienprodukt und Zeitsprung-Experiment, sondern auch das Aufeinanderprallen von Faktualem und Fiktionalen.

I:00:31:36 / Emily:
begrüßt Rory liebevoll zum Abendessen, während sie Lorelai ostentativ ignoriert. Die Figur ändert sich sehr – so sollen wir glauben –, wenn wir sie später erstmals in Jeans sehen und sie ihr Dienstmädchen freundlich behandelt. Enttäuschend an diesen Veränderungen ist, dass wir sie erwartet haben können, weil wir ja wussten, dass Emily aufgrund des Todes von Edward Hermann als Witwe auftreten wird und dass dies eine neue Dynamik einbringen muss.[1]

Dass sie in einer mit einem „Bullshit“ eingeleiteten Hass-Tirade die Monotonie und Verlogenheit in ihrer Gesellschaft lautstark vor eben diesen Damen der Gesellschaft herausschreit, wirkt allerdings wie ein Konstruktionsfehler der Serie. Damit dass sich Emily alles herausnimmt, wenn sie es gerade für richtig hält, ändert sie sich nämlich gerade nicht. Außerdem delegiert dieser Ausbruch die gesamte Stabilisierung ihrer Schicht an ihren Mann, also an das Patriarchat. Ist die Vorstellung nicht traurig misogyn, dass die eigentlich sehr starke Emily erst kann, wie sie will, nachdem ihr Mann gestorben ist, dass nur der Tod ihres Mannes sie befreit, dass sie die ganze Zeit nicht ihr eigenes Leben gelebt hat und erst jetzt zu sich findet? Das glaube ich alles nicht.

Und auch ihre desillusionierende Darstellung, dass ein Wal wirklich tot ist, also wirklich grausam getötet wurde, wenn sich seine Produkte auf dem Markt und seine Reste im Museum in Nantucket befinden – hier klingt wieder das Thema Leben, Tod und Fiktion an (Moby Dick) –, passt zu dieser Figur, ist so beißend, wie wir sie im Grunde schon immer kannten.

I:00:37:53 / Jason ‚Digger‘ Stiles:
ist Gast auf Richard Beerdigung. Im Rahmen einer realistischen Lesart hätte man diese Figur nicht erwartet. Richard, Lorelai und Jason sind im Streit auseinander gegangen, nachdem Richard Jason ausgebootet und ruiniert hatte. Dass Jason Stiles auf der Beerdigung erscheint, zeigt besonders deutlich, dass die Fortsetzung als Revue angelegt ist, in der die Figuren als Zitate ihrer selbst passieren.

Das kann man als intertextuelle und interfiktionale Verweise verstehen, bewegt sich aber immer auch auf einer metafiktionalen Ebene, weil es so viel mit unseren realen Erinnerungen an vergangene reale Rezeptionsprozesse zu tun hat, also damit dass die Gilmore Girls an unserem Leben teilgenommen haben wie wir an ihrem, weil sie unseren Tag strukturiert und die Woche begleitet haben.

Deshalb ist uns Jason Stiles auch noch präsent und sein Auftritt überrascht kaum, obwohl er uns überraschen sollte, denn warum sollte Emily einen Mann auf eine Beerdigung einladen, der mit dem Verstorbenen Streit hatte und den sie nie leiden konnte.

I:00:59:12 / Paris Gellar:
empfängt Lorelai als erfolgreiche und wohlhabende Inhaberin einer Befruchtungsklinik. Sie hat sich also offensichtlich für die Medizin entschieden. Jura ist aber auch nicht ganz raus, weil Rechtsberatung Teil der Dienstleistung ihres Imperiums ist. Später erfahren wir von ihrem beachtlichen Lebenslauf, an dem die eine oder andere vielleicht gezweifelt haben mag. Man hätte sich diese Figur – so sehr ich sie liebe – auch in einer anderen Klinik vorstellen können, und zwar als Patientin.

I:01:05:49 / Logan Huntzberger:
betritt den Raum. Da wir mittlerweile schon erfahren haben, dass Rory einen neuen Freund hat, gehen wir nicht von einer Beziehung aus, als er sie küsst, aber wir sehen, dass die beiden eine Affäre haben. Endlich! Und so unkitschig inszeniert – was ebenso genial wie schrecklich ist –, denn abgesehen davon, dass bzw. gerade weil Rory am Ende der neuen Folgen eine Schwangerschaft aus dieser Affäre davon trägt, deutet sich keine weitere Verbindung/Happy End als Paar an.

Es zeigt sich aber zwischen den beiden Figuren eine tiefe Freundschaft und Zuneigung. Der Rezeptionsraum der zehn Jahre erhält hier eine lebendige Füllung, weil man sich sehr gut vorstellen kann und glaubhaft und liebevoll inszeniert wird, dass und wie die beiden kontinuierlich verbunden waren. Hier liegt kein Bruch zwischen den zeitlichen Horizonten oder zwischen Erwartung und Fiktion vor, auch wenn die beiden kurz nach ihrer Trennung in der alten Serie ein wenig verbittert auseinander gegangen waren.

I:01:14:52 / Zack:
ergraut und im Anzug.

I:01:15:03 / Brian:
immer noch Brille und keine Kontaktlinsen.

I:01:15:26 / Gil:
mit Alterungsspuren. Und die drei geben als Probe von Hep Alien als musikalische Einlage in der Folge ein Ständchen.

II.00:05:59 / Mrs Kim:
hat sich kein bisschen verändert.

II.00:08:00 / Mr Kim??????:
wird von Rory und Lane begrüßt. Er befindet sich außerhalb des Sichtfeldes der Kamera. Man erwartet nicht, diese Figur wirklich zu sehen, sondern den Gag, dass er der stets Abwesende, Körperlose und sonst auch kaum je Erwähnte bleibt, dass Rory und Lane eigentlich ins Leere winken, dass kein Darsteller diese Figur verkörpert, dass da also niemand wirklich steht, und dann… Schnitt, wird er eingeblendet, verkörpert.

Auf der Suche danach, wer ihn denn nun verkörpert, bin ich auf imbd.com nicht fündig geworden – habe ich bei dreimaligem Durchsehen vielleicht etwas übersehen –, obwohl dort sogar die Darsteller einiger – man kann fast sagen – Statisten aufgeführt werden, z.B. der koreanischen Sänger nach Nummern geordnet, die einen wenige Sekunden andauernden Auftritt haben. Eine merkwürdige Unverhältnismäßigkeit.

II:08:03 / Jackson:
verkauft Obst und Gemüse.

II:00:11:55 / Mitchum Huntzberger:
tritt in ein nobles Restaurant, das ihm gehört, und bietet Rory an, mit einem Anruf seinen Einfluss geltend zu machen und quasi mit einem Fingerschnippen ihr Leben zu verändern.

II:00:14:12 / Babette:
nimmt an der Stadtversammlung teil.

II:00:31:28 / Babettes Freund:
nimmt an der Vorführung von Kirks zweitem Film teil.

II:00:42:36 / Headmaster Charleston:
begrüßt Rory und Paris bei einem Klassentreffen (!) auf der Chilton High.

II:00:49:45 / Nicht Tristan Dugray:
steht in vermeintlich vertrauter Pose, gebeugt über eine an der Wand lehnende Frau, im Gang der Chilton High. Paris glaubt nur, Tristan zu sehen, und stürzt vor Scham auf die Toilette, weil sie sich angesichts ihrer Jugendliebe, der sie immer verschmäht und oft gedemütigt hatte, unmittelbar zeitlich und emotional zurück versetzt fühlt und mit ihrem Selbstwert hadert.

Rory fragt ungläubig „Tristan?“ Nein, wir sehen ganz klar nicht Chad Michael Murray wieder, sondern einen Schauspieler, der ihm ähnlich sieht. Es handelt sich um eine Einbildung von Paris, weil sie angesichts des Klassentreffens sicherlich eine derartige Situation befürchtet hatte. Und es wird damit gespielt, dass wir uns als Zusehende bei diesem unseren Klassentreffen fragen, wen wir nun alles wieder sehen werden.

II:00:51:35: Francie:
taucht auf der Toilette auf. Paris‘ alte Abneigung ist noch aktuell. Sie fragt Francie paranoid, ob sie ihr nachstellt. Francie antwortet: „Sorry, did I accidentally step into 2003?“ Ja. Man könnte zwar Francie Recht geben und die 13 Jahre, die vergangen sind, geltend machen. Aber das Jahr 2003 ist wirklich nur einen Schritt entfernt, weil fiktionale Produkte zeitlos im Raum stehen und die Momente für uns Zusehende so präsent sind, als hätten sie gestern stattgefunden, d.h. wir sind sofort mittendrin in dem alten Streit und wundern uns nicht über Parisʼ Reaktion. Und unser Nichtwundern macht uns Francie allerdings mit dem zitierten Satz bewusst.

II:00:56:14 / Doyle:
taucht im Haus von Paris auf. Bei diesem Paar erhalten die vergangenen fiktiven zehn Jahre eine recht plastische Füllung, während Rorys Leben eher als Leerstelle belassen bleibt. Doyle und Paris haben geheiratet, zwei Kinder bekommen, wurden beruflich sehr erfolgreich, außerdem reich, haben sich auseinandergelebt und befinden sich in einem Scheidungskrieg. Hier wird ostentativ ein Klischee nach dem anderen reproduziert. Dadurch können die zehn Jahre mit wenigen Hinweisen aufgearbeitet werden; entfalten sich Geschichten für zehn Jahre Lebenszeit in wenigen Sätzen.

III:00:02:28 / Lukes Tochter April:
ist genauso schlau geworden, wie wir erwartet hatten.

III:00:59:46 / Jess:
tritt – endlich – zur Tür herein, bezeichnenderweise in Rorys Büro. Gemeinsame Interessen hatten die Figuren schon immer verbunden, und wieder einmal ermutigt er sie zu einem Projekt, nämlich das Schreiben der Gilmore Girls. Die alte Redaktionsmitarbeiterin Esther begrüßt Jess mit den Worten: „I remember you, Punk.“

Der Satz aktualisiert die alten Zuschreibungen, obwohl schon in der ursprünglichen Serie relativ klar war, dass Jess einen mehr oder weniger kreativen Beruf ergreifen und seine Talente nutzen würde, aber er wird in der Fortsetzung erneut als Klischee seiner selbst auf dem Stand von vor zehn Jahren eingeführt.

Rory und Jess unterhalten sich dann darüber, dass sie sich vielleicht vier Jahre oder länger nicht mehr gesehen haben. Man muss sich fragen, wie wahrscheinlich das ist, wenn man die Diegese in einem fiktiv-realistischen Rahmen deutet. Immerhin ist Luke wie ein Vater für Jess; Rory hat eine enge Bindung zu ihrer Mutter Lorelai; Luke und Lorelai sind verheiratet. Kann man sich da in einer Familie, die so großen Zusammenhalt beschwört, wirklich vier Jahre nicht gesehen haben?

Da Milo Ventimiglia und Alexis Bledel im realen Leben eine Beziehung hatten, die aber in etwa vor Ende der alten Gilmore Girls-Folgen bereits wieder aufgelöst war, mag man sich vielleicht fragen, ob die Darsteller Ventimiglia und Bledel nicht eher darüber sprechen, wie lange sie sich in der Realität nicht mehr getroffen haben. Zumindest drängt sich dieser Gedanke auf Basis popkulturellen Wissens auf, und wieder einmal springt man aus der Fiktion, was die Serie ja permanent provoziert.

Dass Luke Jess später fragt: „So then you’re over that, right?“ erscheint im Rahmen der Fiktion widersinnig. Immerhin haben sich Rory und Jess nach ihrer Teenager-Liebe vor mehr als zwölf Jahren getrennt, und da sie in gewisser Weise verwandtschaftlich verbunden sind, ist die Frage innerfiktiv zwölf Jahre später kaum glaubhaft motiviert.

Luke fragt in einem metafiktionalen Akt, was Zusehende wissen wollen. Zwar ist die Beziehung der beiden auch für uns schon ca. zwölf Jahre her, aber wir haben das Leben der Figuren ja in dieser Zeit nicht mitgelebt und weiterverfolgt; nichts hat sich relativiert, sondern sämtliche Momente der Serie haben sich statisch und überzeitlich eingeprägt.

Man kann ahnen, dass Lukes Frage relevant ist, denn, sehr ähnlich zur Geschichte von Lorelai und Luke, könnte Jess derjenige sein, der Rorys Kind an Stelle von Logan mit groß zieht. Sollte die Serie wirklich mit dieser einen Staffel schließen, wird dieser Gedanke im Raum stehen bleiben, nachdem wir sehen konnten, dass Jess Rory nach dem Dialog mit Luke mit sehnsüchtigem Blick durchs Fenster beobachtet.

IV:00:16:14 / Die Life and Death-Brigade – nicht nur ein Schlaglicht, sondern das Highlight:
tritt auf. Die Jungs treten wirklich auf die Bühne dieser Serie, die sich hier endgültig in einem Medienwechsel in eine Revue bzw. ein Varieté verwandelt, nachdem sie von einem Einradfahrer mit dem Shakespeare-Zitat “By the bricking of my thumbs, something wicked this way comes” angekündigt wurden.

Einer perfekten Inszenierung folgend tauchen sie mit ihren Affenmasken und Anzügen aus dem 19. Jahrhundert auf einer nebligen Straße auf, und diese Inszenierung ist innerfiktiv eine solche, denn man weiß ja, dass die Life and Death-Brigade für derartiges nie Kosten und Mühen gescheut hat.

Namentlich sind es Finn und Colin, die Rory besuchen, aber weil das Shakespeare-Zitat von einer der drei Hexen stammt und es einfach besser aussieht, befindet sich noch eine dritte, nicht bekannte, namenlose Figur unter ihnen. Logan stößt auch noch hinzu, und man fragt sich, ob er derjenige ist, der als „something wicked“ bezeichnet wurde und was das wohl bedeuten könnte.

Nun findet eine Überlagerung von Fiktion und reflexiver Medientransformation statt, d.h. das Folgende ist ebenso im Fiktiven verankert, wie es auch völlig aus diesem wie ein Zwischenspiel herausfällt. Die Darsteller spielen immer noch die bekannten fiktiven Figuren und gleichzeitig führen sie nun ein Tanztheaterstück auf.

Begleitet von einer etwas schnelleren Cover-Version von With a little help from my friends bewegen sich die Figuren in einem irrealen, surrealen Szenario (Ausleuchtung, Kostüme, Choreographie, allerdings im fiktiv-realistischen Setting von Stars Hollow), während ihnen die Kamera in rasanter Fahrt mit schnellen Schwenks folgt.

Neben allen Implikationen des Liedes zu Freundschaft und Liebe muss man angesichts der Nostalgie dieser Episode auch an die Serie Wunderbare Jahre denken, die die Version von Joe Cocker als Titelsong hat. Während Wunderbare Jahre eine Hommage an die Kindheit in den 60er Jahren ist, und unsere Väter nostalgisch gemacht haben mag, wird es hier in den Gilmore Girls so richtig sentimental, weil wir an Rorys wunderbare Jahre in Yale denken und an die wunderbaren Jahren, in denen wir die Serie geschaut haben.

Gleichzeitig ist gerade diese Episode, in der sich Rory und Logan dann auch endgültig voneinander trennen, aufgrund der multimedialen Gestaltung so gebrochen, dass sie wunderbar unsentimental daher kommt. Mit manierierter Gestik und Mimik, vollkommen theatralisch tanzen die Figuren begleitet von Scheinwerfern durch diese Episode. Das Musical/Tanztheater überhöht und mindert die Sentimentalität zugleich.

Manieriert und theatralisch ist auch Rorys Abschied von den Jungs. Er kippt ins Ironische und bleibt doch irgendwie traurig. In dieser Szene kommt dem Décadent Finn der beste Satz der Staffel zu: „Stay photogenic, I beg of You.“

Dass der Dandy und Pop-Dandy die Statik eines Bildes zum Maßstab erhebt und als bestmöglichen Wunsch bzw. wichtigste Forderung für das restliche Leben artikuliert, passt. Man muss aber nicht nur an Dorian Gray denken, sondern in dem Moment mag auch auffallen, dass der – australische – Darsteller Tanc Sade gewisse Ähnlichkeiten mit dem American Psycho Christian Bale hat.

Dass Rory fotogen bleiben soll, spielt aber natürlich auch auf Alexis Bledels Beruf als Schauspielerin an. Und auch hier hatte ich das Gefühl, dass das reale Leben und nicht die Fiktion mit dem Abschied adressiert ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass Finn auch in Zukunft mit einem Privatjet bei Rory zu Besuch reinplatzt, nachdem er das ja nun auch noch zehn Jahre nach dem Studienabschluss tut, ist doch sehr groß. Außerdem pflegt Yale seine Alumni. Der Abschied passt nicht so recht in die Fiktion. Viel eher sehen sich vielleicht Alexis Bledel und Tanc Sade so bald nicht wieder.

IV:01:03:07 / Miss Celine:
kommt die Treppe herunter. Sie wird Lorelais Hochzeitskleid entwerfen und ist zur Anprobe gekommen.

IV.01:06:16 / Christopher Hayden:
reicht Rory einen Kaffee.

IV.01:16:29 / Dean Forester:
betritt Doose’s Supermarket. Dass man seine erste Liebe in der Stadt seiner Kindheit und Jugend in einem Supermarkt wieder trifft, gehört zu wahrscheinlichsten Szenarien überhaupt, aber damit ist auch die metafiktionale Revue von Rorys Ex-Freunden komplett, und ganz kurz wird auch das Thema der ersten Liebe angetippt. Es wird pflichtschuldig berichtet, was es Neues bei Dean gibt, und gerade dieses topologische Abhandeln verweist einmal mehr darauf, dass die Figur keine Funktion in der aktuellen Fiktion hat, sondern als Collage und Zitat ihrer selbst auftritt und somit in die alte Fiktion zurück führt.

IV:00:19:23 / Sookie:
muss anwesend sein, denn wir sehen eine Menge wunderbar kitschiger Hochzeitstorten, und dann steht sie in der Hotelküche, die zuvor hin und wieder gezeigt wurde, um auf Sookies Abwesenheit hinzuweisen. Das Nichterscheinen von Sookie St. James wurde als Leerstelle explizit thematisiert. Figuren hatten sie vermisst oder sich von ihr im Stich gelassen gefühlt, weil sie sich auf eine Öko-Farm zurückgezogen hatte.

Dass ihr Abgang nicht ganz unholprig gewesen sein muss, erkennen wir spätestens daran, dass sich Sookie und Lorelai beim Wiedersehen fragen, ob sie noch beste Freundinnen sind, was sie sich dann aber versichern. Ansonsten tut Sookie einfach alles geballt in einer Szene, was man von ihr erwartet und was sie in der ursprünglichen Serie in 140 Folgen gemacht hat. Die Figur ist mehr noch als Dean ein Zitat ihrer selbst.

Sookies Auftritt gegen Ende der Fortsetzung ist eine Überraschung, wenn man vor Beginn der Ausstrahlung ein wenig die Boulevardpresse verfolgt hatte, in der berichtet wurde, dass es hinter den Kulissen Streit mit Melissa McCarthy gegeben habe.[2] Diese popkulturelle Kommunikation macht Sookies Nichterscheinen in den ersten drei Folgen, den Umgang mit der abwesenden Figur und der Figuren beim Wiedersehen erst richtig interessant, und man kann glauben, gewisse wertende Untertöne heraushören.

Außerdem mag der eine oder andere angesichts von McCarthy in der Sookie-Rolle besonders drastisch die Zeitverschiebung und die Interferenz zwischen verschiedenen Fiktionen und Fakten bzw. dem popkulturell-massenmedialen Kommunikationsraum bemerken, denn für einige RezipientInnen dürfte McCarthy längst nicht mehr Sookie sein, sondern Molly oder die Schauspielerin, die einen Emmy gewonnen hat, für den Oscar nominiert war und angeblich 23 Millionen US-Dollar im Jahr verdient.[3]

Weil Melissa McCarthy sich im popkulturellen Raum besonders weiterentwickelt hat, passt sie möglicherweise nicht mehr in die Rolle von Sookie. Hier bemächtigt sich die Realität oder Medienrealität über unsere Rezeptionsprozesse, Zuordnungen und Erwartungshaltungen der Fiktion.

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Erwähnt sei jenseits der Spotlights auf die ersten Auftritte bekannter Figuren bzw. DarstellerInnen lediglich das Musical, das in Stars Hollow aufgeführt wird. Hier wird eine Revue mit Spiel und Musik auf der Bühne präsentiert, der in der dritten Folge immerhin ca. zehn Minuten der Serienzeit eingeräumt wird…

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Und dann taucht da noch ein Jeffrey, Allen oder Billy auf, nein Paul … wer? (I:00:12:05) Rory Freund, der dann im Verlauf der neuen Staffel sang- und klanglos wieder verschwindet. Diese Figur hat keine Geschichte und erhält keine Geschichte. Sie ist die einzige Figur, die an einer zentralen Position steht und aus der ursprünglichen Serie noch nicht bekannt ist, die man nicht wieder erkennen kann, sondern die sich neu entwickeln müsste.

Die Figuren spiegeln diese Unkenntnis in der Fiktion, indem sie sich auf unwahrscheinliche Weise nicht an Paul erinnern können. Luke, Lorelai und Emily wissen nicht, haben schlicht vergessen, dass Rory seit zwei Jahren einen Freund hat, wie er heißt, dass sie ihn schon mal getroffen haben, was sie schon mit ihm besprochen haben usw. usf.

Was Zusehende nicht mitbekommen haben in den zehn Jahren, ist auch bei den Figuren nicht haften geblieben, hat keine Gültigkeit bzw. scheint nicht real zu werden. Dass die Serie die Figur sofort wieder aus ihrem Gedächtnis ausscheidet, zeigt, dass die Fortsetzung keine neue geschlossene Fiktion sein soll, dass sie nichts Autonomes jenseits der alten Fiktion und der Zehnjahres-Leerstelle verträgt.

Und wer hat gefehlt? Nicht sehr viele, aber Krysten Ritter habe ich doch vermisst, auch wenn wir sie als Marvel’s Jessica Jones auf Netflix sehen dürfen.

 

Anmerkungen

[1] http://www.pop-zeitschrift.de/2016/10/24/gilmore-girlsdas-ende-der-erzaehlungvon-maren-lickhardt24-10-2016/

[2] http://www.spiegel.de/kultur/tv/melissa-mccarthy-doch-bei-gilmore-girls-dabei-a-1086099.html; http://www.prosieben.de/stars/news/gilmore-girls-reunion-mit-melissa-mccarthy-miese-stimmung-in-stars-hollow-051406

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Melissa_McCarthy

 

Maren Lickhardt ist Assistenzprofessorin am Institut für Germanistik an der Universität Innsbruck.