Mode November
von Mahret Kupka
15.11.2014

Mode für alle

H&M hat mal wieder kooperiert und ich war mal wieder dabei
Ein paar Gedanken zum UnSinn von Designer-Kollaborationen

Der schwedische Trendtransformator H&M hat es diesen November einmal mehr geschafft, die Entwürfe eines so called Top Designers zu vergleichsweise kleinem Geld unter die Leute zu bringen. Weil ich an besagtem Tag nicht in der Nähe einer der ausgewählten Boutiquen war, saß ich pünktlich um 10 Uhr am Computer, um im Onlineshop die drei Teile zu erstehen, die ich mir zuvor durch die entsprechenden Kampagnen habe schmackhaft machen lassen.

www.youtube.com/embed/CvBNkOFaSZk [Video nicht mehr verfügbar]

Das Internet auf dem Land ist langsamer als in der Großstadt, zusätzlich erschwerte das Einkaufsvergnügen die Tatsache, dass noch mehr Personen auf die Idee gekommen waren, online zu kaufen. Sei es aus der Unlust, bis 8 Uhr irgendwo in einer kalten Fußgängerzone einer der Großstädte dieser Welt in einer Schlange modewütiger Menschen zu stehen, oder sei es, weil sie nach unerfülltem Kaufwunsch doch noch schnell zu Hause im zwei Stunden später startenden Onlineverkaufsvergnügen eine zweite Chance, das begehrte Designerteil zu erstehen, witterten. Die Seite war komplett lahm gelegt. Ich konnte nicht mal ein paar Schlüpfer aus dem normalen Sortiment kaufen. Nach gut zwei Stunden wiederholten Klickens der Seite-Neu-Laden-Taste wurde die Beharrlichkeit belohnt.

Auf die SMS mit der Frage, was ich gerade täte, antwortete ich gestern mit „Wang anprobieren und kotzen“, die Lieferung war eingetroffen. Gut eine Woche davor konnte ich es mir nicht nehmen – zurück in der Großstadt –, mal kurz bei H&M vorbeizuschauen, um zu sehen, was denn noch so übrig war von der Kollektion des Alexander Wang. Tatsächlich standen in der Filiale auf der Frankfurter Zeil drei Tage nach Verkaufsstart noch einige Schuhkartons herum. Vereinzelte Jacken, Kleider und Lederhosen ließen geduldig meinen forschenden Händen den Raum ihrer Qualitätserkundung.

Zugleich wunderte ich mich stark über das eigene Interesse über ein paar Artikel von einem Designer, der mich sonst auch nicht wirklich interessiert hatte. So wundere ich mich im Übrigen jedes Jahr! Auch über all die anderen Menschen, die, aufgepeitscht durch aufwendige Werbekampagnen plötzlich denken, unbedingt ein Teil eines Designers besitzen zu müssen, von dem sie zuvor wahrscheinlich noch nie gehört hatten. Es sind ja nicht alle Modekuratorinnen, -journalistinnen, -redakteurinnen, -bloggerinnen oder irgendwie anderweitig mit dem Metier stark verbandelt.

Ich erinnere mich auch, bei H&M einen umfangreichen Katalog gesehen zu haben, der die Designerkollaborationen des Hauses seit Beginn an dokumentiert. Vielleicht wird es in ein paar Jahren eine Ausstellung geben, eine Retrospektive, die jedes Teil zeigt, die auch die Erinnerungen der Besucher an den ein oder anderen Novembermorgen wecken wird. Nach dem Motto: Weiß Du noch damals vor 15 Jahren in der Fußgängerzone von Castrop-Rauxel? Entschuldigung, ich werde gemein…

Worum es mir geht, ist die Klärung der Frage, was da überhaupt genau passiert, was ja auch mit mir selbst passiert – ich kann mich dem Sog des Designerstücks von H&M schließlich selbst nicht entziehen! Vor gut einem Jahr stellte sich der Modejournalist Liroy Choufan bereits eine ähnliche Frage. Seine Antwort gab es dann bei Business of Fashion zu lesen. Er nahm den Begriff der Demokratisierung, der ja im Zusammenhang mit Designerkollaborationen wie der von H&M gerne fällt, genauer in den Blick und attestierte eine enge Verknüpfung zwischen der Idee demokratischer Mode und eines Diskurses der Macht: „In recent years, fashion discourse has, to a large extent, become a discourse of rights.“ Diese Rechte beziehen sich auf eine allgemein geteilte Ansicht, dass Luxusmode für alle erschwinglich sein sollte: „The masses‘ right to consume elite fashion; the right of the less-fortunate to partake in this ample goodness, usually reserved for those with means.“

Was daran demokratisch sein soll, sieht Choufan genauso wenig wie ich, vielmehr ist es doch die Nutzung dieses Begriffs in diesem Zusammenhang, die sowohl der Mode als auch dem Verständnis der Demokratie schadet: „Even if it serves to promote romantic ideas, there is nothing democratic about H&M’s capsule collection, or about fashion as a whole, which itself has nothing to do with democratic rights […].“

Den Grund für das zunehmende Auftauchen des Begriffs der Demokratie im Modediskurs sieht er in der hohen Sichtbarkeit von Mode, die wiederum zur Ansicht beitragen würde, jeder hätte das Recht, diese auch zu konsumieren. Das hat einen wesentlichen Einfluss auf die Kleidungsproduktion, die auf eine sich ändernde Nachfrage reagiert. Mode muss schneller, effizienter und günstiger produziert werden. Ebenso muss sie nicht nur den Körpern traditionell modeaffiner oder reicher oder wie auch immer gearteter Menschen, die in der Lage sind, Mode zu kaufen und zu tragen, passen, sondern allen, denn schließlich sind heute alle mehr oder weniger modeaffin.

Die Idee demokratischer Mode bringt begrenzte Optionen mit der Annahme eines Rechtes auf mehr Optionen zusammen. Aber aus der prinzipiellen Möglichkeit, ein Objekt zu kaufen, resultiert nicht automatisch auch das Recht darauf, dies zu tun, jedoch wird eben das, so die Argumentation Choufans, angenommen. Während er die Sichtbarmachung diverser Körpertypen oder Bekleidungsvorlieben durchaus als legitim erachtet, ist eine daraus erwachsende Forderung an Bekleidungshersteller, diese auch adäquat zu kleiden, geradezu absurd.

Choufan schreibt: „Fashion designers are not obliged to offer plus size, or petite sizes, or shirt designed for left-handed people, just as costumers are not obliged to purchase them.“ Es ist eben diese Forderung, die, so Choufan, Mode zerstört: „The demand to buy a lot for a little […] and to buy ‚designer-like‘ clothes at lower prices, has created a constant downward spiral.“ Das, was von einem westlichen Konsumenten als demokratisch empfunden werden mag, ist nur auf Kosten anderer möglich.

David Kurt Karl Roth und Jakob Haupt von Dandy Diary hatten einen „Werbefilm“ für die Alexander Wang-H&M Kollaboration gedreht. Kinder in einer Bekleidungsproduktionsstätte in Indien hatten darin stolz verkündet, Teil der Produktion zu sein. Es ging eine Welle sowohl der Empörung als auch der Sympathiebekundungen durch das Internet, die letztlich zu einer anwaltlichen Abmahnung der beiden Blogger durch H&M und der Löschung des Films samt begleitendem Blogpost führte.

Die Begründung dafür seitens des Unternehmens war, dass das Video ein Fake sei. Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, die Echtheit dieses Belegs zu diskutieren. Selbst wenn sich die beiden in diesem Fall einen Spaß erlaubt haben sollten, so wiesen sie damit doch auf einen Tatbestand hin, der die tatsächlichen Kosten so genannter demokratischer Mode zeigt.

In Bangladesch starben 2012 120 Arbeiterinnen und Arbeiter bei einem Brand in einer Bekleidungsfabrik, die u.a. Ware für C&A, Carrefour, Kik und Walmart produzierte. Untersuchungen ergaben ähnliche Ursachen für diese Katastrophe wie bei einem vergleichbaren Vorfall in Pakistan wenige Monate davor (SZ, 12.9.2012): abgesperrte Notausgänge, vergitterte Fenster, gefälschte Sicherheitszertifikate, korrupte Fabrikbesitzer. Als Begründung dafür, warum an den Zuständen nichts geändert wird, geben Unternehmer immer wieder den Druck der Weltwirtschaft an.

In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung (SZ, 26.12.2012) fragen Karin Steinberger und Stefan Weber: „Millionen von Menschen arbeiten in den Bekleidungsfabriken Bangladeschs. Die Textilindustrie ist der wichtigste Industriezweig des Landes. Knapp zehn Prozent aller Textilimporte von Europa kommen aus Bangladesch, das nach China und der Türkei der drittgrößte Exporteur von Kleidung nach Europa ist. In einer Umfrage unter den Einkaufschefs großer Modeunternehmen nannten mehr als drei Viertel der Befragten Bangladesch als das am stärksten aufstrebende Einkaufsland für Textil. Aber zu welchem Preis?“ Choufan schreibt 2013: „The truth is, the majority of products sold in current retail chains is so withered and pitiable, so revealing of its unkempt sources, that there is nothing more cynical, or even ironic, than a polyester shirt that can be purchased for pennies.“

Foto: Mahret Kupka

 

Ich tippe diese Zeilen und trage dabei u.a. ein paar Kniestrümpfe aus der H&M Wang Kollektion. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Ich glaube nicht, dass die Lösung in einem Konsumverzicht zu finden ist. Ich glaube aber ganz sicher, dass ein bewusster Konsum, eine stete Reflektion der eigenen Bedürfnisse die Richtung hin zu einem maßvollen Umgang mit den Dingen weist. So kann beispielsweise ein angemessener Preis für ein weißes T-Shirt einem Bekleidungsproduzenten am anderen Ende der Welt einen vernünftigen Unterhalt sichern.

Es gilt das Bewusstsein zu schulen dafür, dass ein Pailettentop für 10 EUR eigentlich gar nicht existieren kann, dass jedes einzelne schimmernde, an mein Party-Shirt genähte Teil irgendwann in den Händen eines Menschen lag, der dafür möglicherweise eine ganze Familie zu ernähren hat. Wer ist überhaupt dieser Wang? Muss ich mich unbedingt in eine fancy Windjacke pressen um zu zeigen, dass ich auf der Höhe der Zeit bin? Und was ist das überhaupt für eine Zeit, auf deren Höhe ich mich stolz zu präsentieren gedenke?

Wang für H&M

 

Mode und Demokratie sind zwei Dinge, die ihrem Wesen nach nichts miteinander zu tun haben. Mode lebt nicht davon, dass jeder mitentscheiden darf, was sie ausmacht, und sie lebt auch nicht davon, dass sich jeder in ihr kleidet. Mode ist nicht authentisch, demokratisch und für alle da. Mode bestimmt nicht, Mode wertet nicht, sie zeigt allein das momentan Relevante und spiegelt gesellschaftliche Veränderungen. Mode funktioniert nach einer Logik des „in“ und „out“. Das was „in“ ist, schließt automatisch etwas anderes aus. Mode ist relativ. Die Idee, sie könne für alle da sein, macht automatisch jene, die nicht von diesem „alle“ erfasst sind, unsichtbar.

Demokratische Mode ist letztlich ein Mythos, dessen Realisierung zuungunsten derer geschieht, die sie tragen, ohne sie tatsächlich tragen zu können. Insofern ist dieser Begriff eine Täuschung, die mit der Idee einer spezifischen Herrschaftsform nichts gemein hat. Je mehr an einer Seite geöffnet wird, desto mehr verschließt sich eine andere zugunsten eines Gleichgewichts. Je näher ich meiner Idee von Luxus durch ein Unternehmen wie H&M komme, desto weiter entfernt sich dieser von der Näherin am anderen Ende der Welt, und welches Recht habe ich, ihr diesen zu verwehren?

Der belgische Modedesigner Dries van Noten erklärt seine Absage an das schwedische Unternehmen H&M, eine günstige Kollektion zu entwerfen, im Juni 2014 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung mit den folgenden Worten: „Wir versuchen ehrliche Preise zu machen. Bei H&M müsste alles für 19 oder 25 Euro zu haben sein. Das ist schlichtweg nicht möglich. […] Um Hemden für 19 Euro zu verkaufen – sorry, für 19 Euro kriegen wir nur die Knöpfe. Manchmal sieht man bei Zara, Mango oder H&M eine ganze Bomberjacke zur Hälfte des Preises, den wir für den Reißverschluss zahlen.“ (Süddeutsche Zeitung. Wochenendbeilage. 28.06.2014).

Dieser Reißverschluss wurde dann hoffentlich an einem Ort produziert, an dem die Mitarbeiter nicht während der Produktion um ihr Leben fürchten müssen, an dem sie auch soziale Absicherung genießen und der ihnen einen Lohn garantiert, der sie ihre Familien ernähren lässt. Ich finde, darauf kann man ruhig ein bisschen sparen!

Ich habe die komplette Wang-Bestellung zurückgeschickt. Dachte mir dabei, wenigstens dem Hermes-Paketboten sein Auskommen zu sichern. Seltsame Logik! Die Socken habe ich behalten. Vollends ausgereift sind diese Gedanken nicht, so aber vielleicht ein Denken in eine vernünftige Richtung. Ich bin gespannt zu sehen, was die nächste H&M-Kollaboration mit mir machen wird.

 

Mahret Kupka ist Kuratorin Mode, Körper & Performatives am Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main.