Konsumrezension Oktober
von Daniel Hornuff
29.10.2014

Das Toastbrot als Nullmedium der Küche

Das Toastbrot hat es nicht leicht. Zumindest für den deutschsprachigen Raum gilt: Es steht, solange es nicht zwischen glühende Drähte eingeklemmt wird, auf verlorenem Posten. Studiert man das Angebot an Toastbroten in Supermärkten, Discountern und kleineren Lebensmittelläden, so fällt auf, welch geringe inszenatorische Unterschiede zwischen einzelnen Herstellern und Geschmacksrichtungen herrschen. Es scheint, als handele es sich beim Toastbrot um ein ästhetisch vernachlässigtes Produkt, verschärft dadurch, dass das Toastbrot, abgesehen von ein paar aus der Zeit gefallenen Hawaii-Toast-Käsescheiben, von keinen ergänzenden Produkten flankiert wird.

In stilistischer Hinsicht hat man es mehrheitlich mit nur leicht abweichenden Varianten des Marktführers zu tun. Der Golden Toast erscheint demnach als Ideal- und Orientierungsbrot: Reduziert auf basale Farbtöne, folgt das Verpackungsdesign den unternehmenseigenen Gestaltungscodes. Zugleich knüpft die Kolorierung an die Suggestion krustiger Röste an, ja harmoniert mit dem Versprechen, die Morgenstund – an dem Toastbrote im deutschsprachigen Raum vor allem zum Einsatz kommen dürften – mit Gold im Mund begehen zu können.

Doch wird gerade damit ersichtlich, wie nachgerade einfallslos die Gestaltungsdimensionen in der Kategorie Toastbrot ausfallen. Die einzelnen Produkte schaffen es in ihrem Auftritt nicht, Situationen der Zubereitung und des Verzehrs von Toastbroten mit eigenständigen Bedeutungen zu belegen. Zwar existieren Ausnahmen, wie etwa Vollkorn-, Balance-, Fitness-, American- oder Gesundheitstoasts, doch sind dies keine produktspezifischen Inszenierungen, sondern lediglich Varianten allgemeiner Nahrungsmittelkategorien.

Unklar bleibt also in den allermeisten Fällen, welche emotionalen oder situativen Mehrwerte ein Toastbrot liefern soll. Dem geringen Nährwert- und Sättigungsgrad eines Toastbrots entspricht dessen semantisch magere Gestaltung. Verkürzend wäre allerdings, das Toastbrot isoliert von dessen Zubereitungsgerät zu bewerten. Denn so wenig der Verpackung eines Toastbrotleibs eigenständige Bedeutungswelten beigegeben sind, so stark prägen und interpretieren Toaster den Akt der finalen Zubereitung.

Hier reicht die Spannbreite von kennerschaftlich anmutenden Retro-Geräten über neckisch witzelnde Teenie-Röster bis hin zu High-Tech-Leistungsmaschinen, die das Toasten mit der Aura spezialfachlicher, laborartiger Herausforderungen umgeben. Dem Konsumenten bieten sich ganze Paletten unterschiedlicher Stimmungs- und Situationsdeutungen, so dass er wählen kann, mit welchem Image er das Toasten ausstatten, ja welchen Toasttyp er letztendlich darstellen möchte.

Dem Toastbrot fällt angesichts dieses Reichtums an sinnstiftenden Diversifikationen fast automatisch eine Nebenrolle zu: Es ist mehr Statist als Hauptakteur, und so ordnet es sich in seiner gestalterischen Unscheinbarkeit der Dominanz des Geräteauftritts unter – ja hat damit durchaus seine Position innerhalb des Toastgefüges gefunden!

Damit wird ersichtlich: Beim Toasten handelt es sich um einen Akt, dessen spezifische Qualität weniger in der Herstellung eines Endprodukts denn in der – durchaus ritualisierbaren – performativen Ausgestaltung zu suchen ist. Vereinfacht gesprochen: Der Reiz des Toastens liegt nicht im Toastbrot, sondern im Toasten selbst.

Wo sich in modernen Küchen Backofen und Mikrowelle hinter anonymisierende, schwarze-verspiegelte Glasfronten zurückziehen, leistet der Toaster ein Stück vitaler Widerständigkeit: Er glüht und lässt meist krachend herausspringen, er bröselt untenrum aus und erhitzt Hineingestecktes, er ist, trotz seiner meist kompakten Figur, ein belebend-agiles und entsprechend vielfältig zu inszenierendes Element.

Dass das Toastbrot demnach ohne eigene Versprechen auskommt, ist also kein gestalterischer Makel, sondern Voraussetzung dafür, dass es in unterschiedlichste, von Toastern vordefinierte Settings einzupassen ist. Das Toastbrot ist das Nullmedium der Küche.

 

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Dr. Daniel Hornuff ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule der Universität Kassel.