Mit dem Markt gegen den Markt – Mykki Blanco
von Stefanie Roenneke
25.1.2013

Mykki und Michael

In den letzten Monaten beschäftigten sich einschlägige Musik-, Mode- und Kulturmagazine mit dem in New York lebenden Künstler Micheal David Quattlebaum Jr. aka Mykki Blanco. Die Anreize zur Auseinandersetzung mit Quattlebaum sind vielfältig: Ein junger schwuler Runaway aus Kalifornien, der in New York sein Glück sucht, Kunsträume findet und seine Erfahrungen in dem Gedichtband »From the Silence of Duchamp to the Noise of Boys« verarbeitet. Doch besonders reizvoll scheint vor allem der von Quattlebaum geschaffene Charakter Mykki Blanco zu sein.

Mykki Blanco ist die Drag-Reinkarnation oder »the womanly side of 24-year-old« (Chapman 2012). Der Charakter beruht auf der Aneignung weiblicher Geschlechtsmerkmale mittels Kleidung, Make-up, Accessoires und Verhalten. Drag ist für Blanco zunächst ein Mittel, seine weibliche Seite hervorzukehren, die mit seiner männlichen Seite stets verbunden ist: »he defines himself as embodying both female and male spirits, but he does not want people to think of Blanco as just some drag alter ego. ›People have a hard time understanding that there is no difference between Mykki and Michael,‹ he explains.« (Hawgood 2012).

Die von Quattlebaum beklagte Schwierigkeit ist verständlich, wenn man berücksichtig, dass im Zusammenhang mit Drag, Camp oder Travestie oftmals die Diskrepanz zwischen äußerem Erscheinungsbild und innerem Befinden betont wird. Zum Beispiel stellt bereits Esther Newton in »Mother Camp« die Diskrepanz zwischen äußerem Erscheinungsbild und innerem Befinden durch die exaltierte Darstellung oder perfekte Illusion von Rollenbildern heraus. Wenn Quattlebaum betont, Mykki und Michael zu verkörpern, stehen beide Zuschreibungen für ihn gleichermaßen zur Verfügung: einen Innen- und Außenraum, der gemäß Butler durch Travestie subvertiert wird, scheint es für ihn nicht zu geben.

Zum Namen Mykki Blanco gibt Quattlebaum immerhin selbst Auskunft. Bei der Kreation handle es sich um eine Reminiszenz an die Hip-Hop-Damen Lil’ Kimberly Jones alias Kimmy Blanco und Nicki Minaj (vgl. Wehn/Vorreyer 2012: 42), wodurch ein lustvoller Umgang mit massenkulturellen Formen deutlich wird. Blancos Medium: Hip-Hop. »I’m using hip-hop as a performance medium« (zitiert nach Schulman 2012), heißt es zur Wahl des Musikgenres. Es ist insbesondere die Kombination aus Drag-Reminiszenzen, einem spielerischen Umgang mit Genderzuschreibungen und dem Musikgenre Hip-Hop, in dem die Geschlechterdualität oftmals forciert wird, die viel Aufmerksamkeit hervorgerufen hat und in der Proklamierung des Queer Rap mündete.

Ausschlaggebend dafür soll ein Beitrag auf Pitchfork im März 2012 gewesen sein, der Künstler wie Mykki Blanco als Ausprägungen dieses neuen Genres beschreibt (vgl. Battan 2012). Es stellt sich die Frage, ob diese Proklamation mit der Hoffnung einherging, einen transitorischen Moment für dieses Musikgenre herbeizuschreiben, durch den später rückblickend die sich verändernden Inhalte und Darstellungsformen aufgedeckt werden.

Zum Vergleich: 1979 betonte Dick Hebdige in »Subculture. The Meaning of Style«, dass es im Glam Rock eine Änderung der Inhalte innerhalb der Rock-Musik gab. Weg von Klassenfragen und Haltung der Jugendlichkeit hin zu Sexualität und geschlechtlicher Typisierung. Als Beispiel diente damals David Bowie mit seinen »›camp‹ incarnations«. Im Gegensatz zu Mykki Blanco verwischte Bowie »die Grenzlinien zwischen seiner wirklichen Person und dem Bühnencharakter Ziggy Stardust«, wie Van M. Cagle (2006: 294) feststellt. Mit dem Ziel, »absichtlich polysemische Persönlichkeiten [zu] erschaffen« (ebd. 2006: 293). Kritisch wird jedoch angemerkt, dass im Glam Rock das (oft abjekte) Spiel mit dem Femininen seinen kommerziellen Höhepunkt fand. Die »Drag Queen [hatte bereits] eine Funktion des Statussymbols« (Kelley 2006: 36). Bereits in den 1960er Jahren sind Konzepte des Femininen bei den Mothers of Invention, den Stooges, Alice Cooper oder auch bei den Rolling Stones zu finden (vgl. ebd. 2006: 28), die ihre Inspiration wiederum aus der damaligen Theater-Avantgarde gezogen haben.

Da die Zuschreibungen – wie so oft – von außen und nicht von den Künstlern selbst kommen, weist Blanco die Genrebezeichnung Queer Rap sowie die Bezeichnung Gay Rapper vehement zurück, wie die »New York Times« berichtet. Das geschieht zum einen verbal, indem er sich in Interviews immer neu beschreibt, zum Beispiel als »a mixture of riot grrrl and ghetto fabulousness« (zit. n. Schulman 2012) oder als »the art world’s post-Generation X pomo baby« (zit. n. Hawgood 2012.). Und zum anderen in der Darstellung des Charakters Mykki Blanco selbst. In dem Video zum Noiserock-Song »Head Is a Stone« tritt er über den Dächern New Yorks mit Langhaarperücke, Cocktailkleid und Handschuhen auf.

Sein Erscheinungsbild wechselt immer zwischen ›Mykki‹ und ›Michael‹. In »Join my Militia« räkelt sich Blanco im Bikini lasziv am Strand, torkelt mit Zigarette und Whiskeyflasche durch das Bild und ist am Ende nur mit einem toten Tintenfisch bedeckt. Das Video zu »Wavy« zeigt Quattlebaum zunächst als normalen ›Hipster-Rapper‹ oberkörperfrei in Jeans, um dann in einer barocken Partyszene mit fließendem Haar und knappen Höschen zu beeindrucken.

Blancos Inszenierungen werden von Jan Wehn und Thomas Vorreyer als Versuch beschrieben, sich auf der »Queer-Rap-Falle« zu befreien. Wehn und Vorreyer stellen ermüdet fest: »Die alle zusammenfassende Genrezuschreibung Queer Rap bleibt wenig sinnvoll […]« (2012: 43). Zum einen sei Queer Rap nur eine »Soon-to-be-Karteileiche wie zuvor ›Weirdo Rap‹ oder ›Witch House‹« (ebd.) und zum anderen »wurde die Ausgrenzung nach sexueller Orientierung und Gender erst recht manifestiert« (ebd.). Bereits zu einem Auftritt von Blanco im August 2012 in Berlin heißt es: Mykki Blanco »spielt so sound- und bildgewaltig mit krachigen Plastikbeats und langmähnigen Identitäten, dass es einem ganz modern ums Herz wird. Zuordnung? Auf keinen Fall […].« (Addy 2012). Und Blanco ist sich sicher: »Mit jedem meiner Projekte wird es schwerer werden, solche Buzzwörter wie Queer Rap auf mich anzuwenden« (zit. n. Wehn/Vorreyer 2012: 44).

Blanco/Quattlebaum bemüht sich mit seinen abwechslungsreichen Inszenierungen und Selbstbeschreibungen um eine stete Formierung eines semiotischen Freiraums, wobei zurzeit die Entkoppelung vom Hip-Hop-Mainstream und einer Systematisierung seitens der Kritik für ihn zwingend erscheint. Das bindet die Kurzschließung von ästhetischer Strategie und Sexualität mit ein, die bereits in den 1970er-Jahren im Zusammenhang mit dem Konzept der »gay sensibility« (Babuscio 1993: 19) diskutiert und unter anderem von Andrew Britton der Kritik unterzogen wurde, Homosexualität führe zu keiner spezifischen Wahrnehmung: »›Consciousness‹ […] is not determined by sexual orientation, nor is there a ›gay sensibility‹« (Britton 1999: 139) .

Doch warum versucht Blanco, sich den Interpreten zu entziehen? Er betont: »I’m just out to make my audience happy, fulfill my creative vision, and be successful on my own terms, which is doable« (zit. n. Chapman 2012). Der Fokus auf die Performance und den momentanen Charakter soll dem Zweck dienen, sich dem Markt zu verweigern: »The more noise I keep making, and the more I release quality music, I have no doubt that someone’s gonna try to hit me up. Larger labels, people in high positions who control culture, wanna remain in those positions of controlling culture« (ebd.).

Die Gefahr der Vereinnahmung seitens der Branche scheint erst einmal gebannt, denn bisher bekommen Blanco & Co. nur die »Ignoranz großer US-HipHop-Medien« (Wehn/Vorreyer 2012: 44) zu spüren. Trotzdem bemüht sich Quattlebaum weiter um Distanz, indem er »Hip-Hop als Performancekunst« oder als Medium bezeichnet. Drag und Hip-Hop sind nur zwei Mittel, mit und durch die Mykki Blanco arbeitet. Das Rollenverständnis ist vergleichbar mit jenen ›female impersonators‹, die Esther Newton in »Mother Camp« einst beschrieben hat: »These men often say that drag is simply a medium or mask that allows them to perform« (Newton 1979: 98).

Doch mit welchem Zweck? Aufschluss kann die Antwort auf die Bemerkung eines »Zeit«-Redakteurs geben. Johannes Thumfart meint, dass sich »im Hip-Hop […] seit Lil Bs Album I’m Gay und den Crossdressing-Experimenten von Nicki Minaj viel getan [hat], was Geschlechterrollen betrifft« (2012). Dazu Mykki Blanco: »Das ist nicht richtig. Der Witz ist ja gerade, dass Lil’ B nicht schwul ist und Nicki Minaj nicht lesbisch. Seit dem Erfolg von Lady Gaga haben einfach ein paar Leute geschnallt, dass man mit schwulem Publikum immer noch reich werden kann« (zit. n. Thumfart  2012). Aber auch mit heterosexuellen Zuschauern, wenn jedoch mit Unterschieden: »Die Queers feuern ihre Ikone an: Mach weiter da oben, du gibst uns unsere Bilder. Der heteronormative Rest sieht eine normalhippe HipHop-Liveshow, ein oder zwei sind verunsichert – ist das queer? Nein: ›This is Mykki Blanco, Motherfuckers follow pronto!‹« (Grabsch 2012).

Bei Mykki Blanco ist der Versuch einer kontinuierlichen Neubeschreibung zu beobachten, um identifikatorische Erklärungsmodelle zu vermeiden, auch wenn er sich der Unmöglichkeit bewusst ist: »you can’t tell me what I’m doing doesn’t have a place« (zit. n. Chapman 2012). Der stetige Wechsel scheint das Ziel zu haben, dass jede Rolle – jede neue Seite von Mykki Blanco – zunächst hervorgebracht werden soll, um dann genauso schnell wieder einzubrechen. Seine Darstellungen leben durch ein lustvolles und zugleich selbstreflexives Spiel mit Genre- und Geschlechterzuschreibungen, die ihn in die Nähe eines Camp-Momentes rücken, auch weil der Versuch einer spielerischen Sinnentleerung konventioneller Muster deutlich wird. Dabei sind seine Drag-Praktiken weder Passing noch eine bloße Parodie hegemonialer Praktiken. Jedoch müssen Mykki Blancos Darstellungen – zusammen mit seinen Äußerungen – als Kommentar zum kommerziellen Erfolg von Pop- und Hip-Hop-Größen wie Lady Gaga oder Nick Minaj verstanden werden. Mykki Blanco dringt auf eine Umwertung derzeitiger Inszenierungen im Pop- und Hip-Hop-Mainstream, die einst dem schwulen Underground entlehnt worden waren.

 

Literatur

 

Addy (2012): Mykki Blanco Berlinpremiere. In: De-Bug.de vom 22. August 2012 [Link mittlerweile erloschen]

Babuscio, Jack (1993): Camp and the Gay Sensibility. In: Bergman, David (Hg.): Camp Grounds. Style and Homosexuality. Amherst. S.19-38.

Battan, Carrie (2012): We invented Swag. NYC’s Queer Rap. In: Pitchfork vom 21. März 2012

Blanco, Mykki: Video zu „Head is a Stone“

Ders.: Video zu „Join my Militia“

Ders.: Video zu „Wavy“

Britton, Andrew (1999): For Interpretation: Notes against Camp. [Originally published in Gay Left, 7, Winter 1978/79] In: Cleto, Fabio (Hg.): Camp. Queer Aesthetics and the Performing Subject. Edinburgh. S. 136-142.

Cagle, Van M. (2006): Glitter Rock, Kontext und Identitätspolitik. In: Diedrich Diederichsen u.a. (Hg.). Golden Years. Materialien und Positionen zu queerer Subkultur und Avantgarde zwischen 1959 und 1974. Edition Camera Austria. Graz. S. 283-295.

Chapman, Alex (2012): The Multiplicities of Mykki Blanco: In: Interview Magazine

Grabsch, Johanna (2012): Mykki Blanco – Cosmic Angel des Queerrap. In: De-Bug.de vom 6. November 2012 [Link mittlerweile erloschen] (zuerst veröffentlich in DeBug 166)

Hawgood, Alex (2012): Michael David Quattlebaum Jr. In: Interview Magazine

Hebdige, Dick (1979): Subculture. The Meaning of Style. Routledge. London and New York.

Kelley, Mike (2006): Cross Gender/Cross Genre. In: Diederichsen, Diedrich u.a. (Hg.), Golden Years. Materialien und Positionen zu queerer Subkultur und Avantgarde zwischen 1959 und 1974. Edition Camera Austria. Graz. S. 25-37.

Newton, Esther (1979): Mother Camp. Female Impersantors in America. With a new Preface. The University of Chicago Press.

Schulman, Michael (2012): From Runaway Teenager to Hip-Hop Queen. In: New York Times vom 17. Juli 2012

Thumfart, Johannes (2012): Mit schwulen Publikum kann man reich werden. In: Zeit Online vom 20. Juni 2012

Wehn, Jahn/Vorreyer, Thomas (2012): Anythin’ but a ›Q‹ Thang. In: Spex 341. S 40-45.