Zu Weihnachten Konsumkritik (Teil 3)
von Thomas Hecken
24.12.2012

Das wichtigste feststellbare Ergebnis der Konsumkritik besteht darin, dass insgesamt nicht weniger, sondern lediglich einige andere, angeblich unkommerziellere Dinge gekauft und verbraucht werden.

Die Verkaufszahlen rund um Weihnachten belegen das Jahr für Jahr. Je unumstrittener die Konsumkritik prinzipiell ist, desto höher der Umsatz. Offenkundig folgt nur für zutiefst ökologisch besorgte oder religiös-asketisch eingestellte Personen aus der Konsumkritik ein Konsumverzicht bzw. eine Verringerung der Ausgaben.

Die Aussage von Wolfgang Ullrich aus dem Jahr 1999 hat darum prinzipiell an Gültigkeit nichts verloren. Der heutige Kulturkritiker, heißt es in Ullrichs »Nachruf auf die Kulturkritik«, »will nicht wirklich etwas verändern, sondern lediglich bei möglichst vielen Lesern Zustimmung ernten. Dann vermittelt man ihnen ein gutes Gefühl, nämlich den Eindruck, ähnlich weise zu sein wie der Kommentator und zu wissen, was zählt auf der Welt.« (Wolfgang Ullrich, »Zentrifugalangst und Autonomiestolz. Ein Nachruf auf die Kulturkritik«, in: Neue Rundschau, Heft 1, 1990, S. 9-22, hier S. 21)

Mit Blick auf die Konsumkritik sind bloß zwei Dinge zu ergänzen. Erstens soll von den meisten Konsumkritikern weniger der Eindruck von Weisheit als der des Durchblickens und der Geschmackssicherheit hervorgerufen werden. Der Grund dafür ist leicht auszumachen: Die Konsumkritik ist heutzutage weiter verbreitet als die anderen Dimensionen der Kulturkritik. Wenn Ullrich von den Lesern schreibt, bei denen der Kulturkritiker das einvernehmliche Gefühl weiser Überlegenheit erzeugen möchte, kann bei der Konsumkritik viel stärker von Sprechern geredet werden. Die Konsumkritik ist Teil der Alltagskommunikation, sie gehört zum festen Bestand vieler mündlich geäußerter Einlassungen und Urteile. In solchen Situationen und Zusammenhängen ist nicht Weisheit gefragt, sondern rasche Überzeugung.

Und zweitens: Zwar wird die heutige Konsumkritik zumeist ohne die entschiedene Absicht angebracht, mit der konsumkritischen Aussage die Gegenwart negativ an einem früheren Zustand zu messen und entschlossen zur Überwindung dieser Gegenwart aufzurufen. Über ein unverbindliches Lamento geht sie aber hinaus. Präzise dient sie dazu, einem Geschmacksurteil mehr Gewicht, eine objektivierende Note zu verleihen. Das ist die am weitesten verbreitete Form gegenwärtiger Konsumkritik: die Form des maskierten, beschwerten Geschmacksurteils.

Wenn gesagt wird: Der Song x, die Hose y, das Event z sei kommerziell, ein typisches Konsumprodukt, dann bedeutet dies fast immer: Es handelt sich um einen schlechten Song, eine geschmacklose Hose, ein ästhetisch minderwertiges Event. Wie durchgesetzt diese Form der Konsumkritik ist, sieht man daran, dass diejenigen, die solche Äußerungen tätigen, höchst selten Rechenschaft darüber ablegen, ob denn die von ihnen bevorzugten Gegenstände und Ereignisse keine aus Profitgründen hergestellten Konsumprodukte sind – und kaum einmal von anderen aufgefordert werden, darüber Rechenschaft abzulegen.

Unbedacht und unwidersprochen bleibt zumeist ebenfalls, dass die allermeisten, die solche Urteile fällen, Anhänger der Auffassung sind, dass die Künste regellos und der Geschmack subjektiv seien, die Aussage über die Konsumgestalt eines Objekts demnach nichts Feststehendes über seinen ästhetischen Wert besagen kann. Auch dies ist ein schwerwiegendes Indiz dafür, wie stark die Konsumkritik Halt in der Alltagskommunikation findet. Ihre Funktion liegt dort darin, das eigene Urteil zu zementieren, es über die Beliebigkeit des Meinens – über Geschmack lässt sich nicht streiten – hinauszuheben und dadurch die eigene Hochwertigkeit zu dokumentieren und durchzusetzen.

Wenn Wolfgang Ullrich ausführt, dass die Kulturkritik ihren heutigen Verfechtern oft ein gutes Gefühl verschafft, gilt das für die meisten Konsumkritiker erst recht: Sie dürfen nicht nur den Eindruck genießen, über einen guten Geschmack zu verfügen, der von anderen kaum bestritten wird. Sie können sich auch darüber freuen, dass ihnen der Vollzug ihrer Vorlieben nicht als konsumistischer Akt vorgeworfen wird, obwohl ihre Lieblingsgegenstände ebenfalls in Gestalt von Waren erworben werden müssen und ihre Aneignung zumeist auch nicht wesentlich bedächtiger und konzentrierter vorgenommen wird als die eines Big Macs, eines Dieter-Bohlen-Songs oder einer amerikanischen Comedy-Serie. So lange aber nur diese der Konsumkritik verfallen, wird die Konsumkritik weder ökonomische noch ökologische Änderungen bewirken.